Paolo Veronese, Portrait von Daniele Barbaro, 1565-67, Öl auf Leinwand, Amsterdam, Rijksmuseum. Link


Giovanni Battista Maganza, Portrait von Andrea Palladio, 1576, Öl auf Leinwand, Villa Valmarana "ai nani", Vicenza. Link


Daniele Barbaro, I dieci libri dell'architettura di M.Vitruvio tradutti et commentati da Monsignor Barbaro eletto patriarca d'Aquileggia, Venedig: Francesco Marcolini, 1566, Titelblatt. ETH-Bibliothek Zürich


Daniele Barbaro, I dieci libri dell'architettura di M.Vitruvio tradutti et commentati da Monsignor Barbaro eletto patriarca d'Aquileggia, Venedig: Francesco Marcolini, 1566, Widmung. ETH-Bibliothek Zürich


Daniele Barbaro, I dieci libri dell'architettura di M.Vitruvio tradutti et commentati da Monsignor Barbaro eletto patriarca d'Aquileggia, Venedig: Francesco Marcolini, 1566, "Libro primo": Barbaros Text in kursiv, Vitruv-Text normal gesetzt. ETH-Bibliothek Zürich

Daniele Barbaro und Andrea Palladio

1. Der historische Kontext

Die Vitruv-Renaissance begann bereits im 14. Jahrhundert durch Poggio Bracciolini und andere. Im 16. Jahrhundert dann wurde sie von Oberitalienern, Architekten und nicht Architekten getragen. Neu daran war die geographische Verschiebung von Rom nach Venedig. Dort befanden sich schon verschiedene Architekturtheoretiker, sowie Sebastiano Serlio und Andrea Palladio. Warum sich das Zentrum der Architekturtheorie verschob, ist nicht klar, ein sicherer Grund dafür ist aber, dass es in Venedig verschiedene Druckereien gab, die also den Druck der Traktate erlaubte. Ausserdem fanden die Architekturtheoretiker in Venedig neue Wirkungsfelde,r die es in Rom zu der Zeit nicht gab, da sie geplündert wurde (1527). Venedig wurde dadurch zur Stadt des Vitruvianismus. Mehrere venezianische Intellektuelle, darunter Giangiorgio Trissino (1478-1550) und Alvise Cornaro (1484-1566) beschäftigten sich damals mit Architektur und deren Theorie.

2. Daniele Barbaro

2.1 Biographie

Daniele Barbaro (1514-1570) war einer der drei grossen Interpreten Vitruvius, neben Fra Giocondo (1433-1515) und Cesare Cesariano (1476/78-1543). Schon seine Ahnen hatten Karrieren als Intellektuelle eingeschlagen, z.B. Ermolao Barbaro und Barbaro selbst setzte sich vorher mit aristotelischen Schriften, und dann erst später mit Architekturtheorie aus. Er war Dichter, Philosoph, Mathematiker, Historiker und Diplomat (Wittkower 1944: 107). Sein Interesse für die Architektur durchdrang aber schon früher. Ersichtlich ist dies z.B. in der Gründung und vielleicht auch Gestaltung des botanischen Gartens in Padua. Daneben war er auch als Kleriker tätig, er wurde nämlich Patriarch von Aquileia.

2.2 Werke

«I dieci libri dell'architettura di M. Vitruvio tradutti et commentati da Monsignor Barbaro eletto patriarca dʼAquileggia» gilt als Barbaros Hauptwerk. Er hat sich sonst in seinen Werken mit verschiedenen Themen auseinandergesetzt und kann demzufolge als ein vielseitiger Mensch betrachtet werden, der aber später den Fokus seines Interessengebietes immer mehr auf Vitruv gesetzt hat. Seine Arbeit zu Vitruv begann im Jahre 1547; Barbaro bekam damals den Auftrag von Claudio Tolomei, den Text verständlicher und eloquenter zu gestalten (D'Evelyn 1996, S.23). Barbaro war von Vitruvs Schreibweise beeindruckt. Er schrieb beispielsweise dazu: «Il modo che usa Vitruvio nello scrivere e, (come si conviene), prima ordinatamente e poi con semplicità di vocaboli, e proprietà di parole [...]»(Barbaro, S.(9)5) Link zur Seite) Kurz nachdem Barbaro den Text fertig geschrieben hatte, fragte er Palladio, ob er den Text illustrieren könnte. Palladio hat den Text mit Illustrationen und Holzschnitten ausgestattet, sowie Barbaro bei der Interpretation Vitruvs Werkes unterstützt. Palladio hatte sich schon mit Vitruvs Werkes auseinandergesetzt (siehe 3.1-Trissino).

Das Werk wurde zu einem grundlegenden Text und gilt als Meilenstein der damaligen Auseinandersetzung mit Virtuvs Traktat: «[...] and that the Commentaries of 1556 served as a foundational text into the next century, as well as marking the culmination of more than a century of intense scrutinity and application of Viruvius by other architects and editors [...]». (D'Evelyn 1996, S. 25). Zuletzt galt das Werk von Barbaro in Zusammenarbeit mit Palladio als eine Bereicherung von Vitruvs Text. Sie haben durch Erklärungen und Illustrationen eine direkte Anwendung des theoretischen architektonischen Wissens Vitruvs erlaubt (D'Evelyn 1996, S. 26).

3. Andrea Palladio

3.1 Biographie

Andrea Palladio, mit Taufnamen Andrea di Pietro della Gondola (1508-1580), in Padua geboren, hatte zuerst das Handwerk des Steinmetzen erlernt. Er verfügte so über ein breites Wissen über Materialien und Konstruktion. In den 1530er Jahren begegnete er oberitalienischen Humanisten: Trissino führte ihn in die Lektüre Vitruvs ein. Palladio konnte durch seine Romaufenthalte und seine archäologische Forschung seine architekturtheoretische Kompetenzen erweitern. Auch Leon Battista Albertis Architekturtraktat half ihm bei der Gewinnung architekturtheoretischen Wissens.

3.2 Werke

Als Palladio Barbaros Vitruvübersetzung illustrierte, entwickelte sich immer mehr seine Idee, ein eigenes Traktat zur Baukunst zu realisieren. Er publizierte 1554 "Le antichità di Roma" und "Descritione de le chiese, stationi, indlugenze" Andrea Palladios Reiseführer?. Sein Werk I Quattro libri dell'architettura, 1570 publiziert, wurde ein grosser Erfolg: Dessen Wirkung und Bedeutung trugen zur Gründung des Palladianismus bei. Er wollte das ganze Gebiet der Architektur in seinem Werk untersuchen (Wittkower 1944, S.105). Sein Interesse an den antiken römischen Ruinen war dadurch motiviert, dass er in den Gebäuden Tugend (virtù) und Grossartigkeit sah: Die Antiken «[..] rendono anco nelle grandissime ruine loro chiaro, & illustre testimonio della virtù e della grandezza Romana: in modo che ritrovandomi io grandemente esercitato, & infiammato negli ottimi studji di questa qualità di Virtù, e havendo con gran speranza messo in lei tutti i miei pensieri...». Andrea Palladio, I quattro libri dell'Architettura, Widmung. Vitruv spielte für Palladio eine sehr wichtige Rolle, er war nämlich «maestro e guida» (Wittkower 1944, S. 106). Die I quattro libri dell'architettura hatte grossen Einfluss auf die künftige Architekturtraktate: «Was Anlage, Aufmachung sowie die Stringenz ihrer Argumentationen betrifft, schufen gerade die Quattro libri des Andrea Palladio Normen, die in der Folgezeit für alle architektonischen Handbücher verbindlich blieben.» (Architekturtheorie 2003, S.64). Ausserdem stellt das Traktat eine neue Art der Untersuchung der Antiken vor: Er vermied längere Beschreibungen und erzielte so ein Gleichgewicht zwischen Text und Illustration (Tavernor in Palmer 2003, S. 108).

In seinen Werken ist vieles zu finden. Erstens, sein präzises Vorgehen:«Seine Bauillustrationen erscheinen regelmässig in Grundrissen, Aufrissen und Schnitten, wobei Aufrisse und Schnitte der orthogonalen Projektion folgen [...]» (Architekturtheorie Taschen: 64). Zweitens bemerkt man, dass er von seinen architektonischen Projekten sehr überzeugt war. Ausserdem hatte er sein Fokus mehr auf das ästhetische gesetzt als auf die Antiken: «Ästhetisches Kalkül veranlasste ihn also zur Abweichung von den Antike.» (Architekturtheorie Taschen: 64)

4. Barbaro und Palladio: ihre gemeinsame Wirkung

Warum die beiden intensiv zusammen gearbeitet haben, kann vielleicht dadurch erklärt werden, dass sie über ein grosses architektonisches Wissen verfügten und ein gemeinsames Interesse an den Schriften von Leon Battista Alberti hatten. Ausserdem fanden sie in Vitruvs Werk viele Elemente, die sie auf Venedig projizieren konnten. Sie schufen so einen praktischen Bezug zu dem, was sie gelesen hatten.

Barbaro und Palladio haben viel zusammen gearbeitet, vor allem was Vitruvs Werk angeht: Barbaro hat es vom Lateinischen ins Italienische übersetzt (1556) und kommentiert, Palladio hat vor allem das Werk (z.B. Römische Theater) illustriert. Ausserdem ergänzen sich ihre Publikationen, Barbaros I dieci libri dell'architettura di M. Vitruvio tradutti et commentati da Monsignor Barbaro eletto patriarca dʼAquileggia und Palladios Quattro libri dell'architettura (1570), und teilweise kann man einige Teile nicht trennen. In den Texten sind Stellen zu finden, welche auf das andere Traktat hinweisen. Dass sie eine gute Beziehung hatten, wird auch dadurch bestätigt, dass Barbaro in seinem Testament Palladio 15 Dukaten hinterliess, und dass Palladio für Barbaro und dessen Bruder die Villa Maser in der nähe von Asolo gebaut und dekoriert hatte (Wittkower 1944, S. 107). Sie hatten ausserdem auch ähnliche Vorstellungen, wie z.B. was die Fassade des antiken Privathauses anging. Das Thema des Privathauses wird auch bei Palladio aufgenommen, er zeichnet es mit einer Tempelfront, was eine Fehlinterpretation darstellt. Die Architekturtheoretiker konnten keine vollständigen antiken Villen kennen.

4.1 I dieci libri dell'architettura di M. Vitruvio tradutti et commentati da Monsignor Barbaro eletto patriarca dell'Aquileggia

Vitruvs Werk wurde «[...] in response to a widespread of popular demand for a good and up-to-date illustrated italian translation that could provide correct information on classical architecture to practising architects eager to master and interpret the classical text for modern practice» (Cellauro 2004: 297-298) übersetzt und kommentiert. Barbaros Übersetzung vereinigt in sich «[...] the splendid culmination of the renaissance tradition of Vitruvian studies» (Cellauro: 298). Das Werk wurde 1547 begonnen, der Abschluss neun Jahre später, wie Barbaro es mitteilt (Cellauro: 298). Barbaros Text ist in kursiv, der Vitruv-Text normal gesetzt.

Eins der Hauptanliegen Barbaros war die Beziehung zwischen den Künsten (Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie) und Architektur zu untersuchen. Wie bei Palladio spielt bei ihm die virtù auch eine wichtige Rolle, sie soll den Intellekt des Künstlers leiten. Ausserdem, wer virtù besitzte, weil er studiert hatte, musste den anderen das Wissen zugänglich machen. Für Barbaro bedeutete dies, Vitruvs Werk für Architekten verständlich zu machen, so dass sie das architektonische Wissen erlernen konnten und selber anwenden (Tavernor 2003, S. 110).
Die architektonische Zeichnungen waren dermassen präzis, dass sie an dem Plan eines anatomischen Körpers erinnerten, bis zum kleinsten Detaille wurde alles gezeichnet. Babaro benutzt drei Arten von Illustrationen (Tavernor 2003, S. 115):

-Palladios Zeichnungen, die ein ganzes Gebäude rekonstruieren (Grundriss, Aufriss, Schnitt)
-Partielle Rekontruktionen von Gebäudefragmenten
-Zeichnungen die von anderen Quellen stammen

Für Cellauro ist der grösste Beitrag von Barbaro folgender: «The main contribution of Daniele Barbaro to the Renaissance understanding of Vitruvius lies in his emphasis on the flexibility with which he believes Vitruvius's 'rules' should be understood, and in the importanceof optical corrections for architectural design in the theory of the ancient author. [...] It was this relative freedom of the architect in Vitruvius's architectural theory, which is considerer by Barbaro to have been an essential aspect of the profession in antiquity, and which helped to explain the differences between Vitruvius's rules and actual proportional findings on archeological sites in Rome.» (Cellauro: 327, 328). Dieses Zitat erklärt nicht nur die Wichtigkeit Vitruvs für die Architekturtheorie, sondern auch die Flexibilität die man im Umgang mit dem Planen eines Gebäudes hatte: Für Barbaro waren Vitruvs Regeln nicht mit Strenge ins Praktische umzudeuten, vielmehr sollte der Architekt, nach Barbaros Meinung, im Kontext sehen, ob die Regeln anwendbar waren, wenn nicht, dann hatte er die Freiheit einen anderen Weg auszuprobieren.

Titelblatt

Auf dem Titelblatt ist der Trajansbogen von Ancona, welcher die allegorische Figur der Architektur umrandet, zu sehen. Oben, links und rechts neben dem Titel "I dieci libiri dell'architettura di M.Vitruvio, tradotti & commentati da Mons. Daniel Barbaro eletto Patriarca d'Aquileja" sehen wir die allegorischen Figuren die das Quadruvium darstellen, v.l.n.r.: Arithmeitk, Musik, Astronomie (Quadrant) und Geometrie (Winkelmass). Der Bogen, welcher gewöhnlich für das ewige Leben stand, könnte in diesem Kontext als die ewige Qualität der aristotelischen Definition von Quadruvium (vier Wege: Arithmetik, Musik, Astronomie und Geometrie) stehen, welche die barbarische Periode der Goten überlebt hatte (Tavernor 2003, S. 119).

Widmung

Barbaro hat sein Traktat dem «reverendissimo Cardinal di Ferrara D. Hippolito da Este» gewidmet. In der Widmung erklärt er sein Ziel, die Architektur allen zugänglich zu machen: «Le belle inventioni de gli huomini Illustrissimo & Reverendissmo Signore mio fatte a commune utilità portano a chi non le intende meraviglia & a chi le intende diletto grandissimo [...]».

Struktur

Barbaro kommentiert jedes von Vitruvs Traktat, folgt also chronologisch dem schon entschiedenen Verlauf. Nach dem zehnten Buch aber, fügt er weitere Kapitel hinzu:
-«Tavola di quello si contiene in tutta l'opera per i capi»: Barbaro zählt die Inhalte der zehn Bücher auf;
-«Tavola per dichiaratione de tutte le cose notabile de l'opera»: Eine Art Katalog der Inhalte;
-«Errori più importanti»: Aufzählung der Fehler der Ausgabe und Hinweis, welches Wort stattdessen stehen sollte, z.B: «Alla leggi della»;
-«Il capitello ionico»: Vertiefung des ionischen Kapitells, Thema welches schon im dritten Buch behandelt wurde;
-«Regola come si potevano girare i thatri di Curione»;
-«Errori della tavola grande delle stelle».


Bibliographie
Architekturtheorie von der Renaissance bis zur Gegenwart, Köln [etc.]: Taschen, 2003. S. 54-72.
Cellauro, Louis, «Daniele Barbaro and Vitruvius: The Architectural Theory of a Renaissance Humanist and Patron», in: Papers of the British School at Rome, 72, 2004, S. 293–329.
Tavernor, Robert, «Brevity Without Obscurity: Text and Image in the Architectural Treatises of Daniele Barbaro and Andrea Palladio», in: Rodney Palmer and Thomas Frangenberg (Hg.), The Rise of Image, 2003, S. 105–133.
Wittkower, Rudolf, «Principles of Palladio's Architecture», in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes, 7, 1944, S. 102–122.
D'Evelyn, Margaret M., «Venice as Vitruviusʼs City in Dabiele Barbaroʼs Commentaries», in: Studi Veneziani, N.S. 32 (1996), 1997, S. 83–104.
Howard, Deborah, «Four Centuries of Literature in Palladio», in: Journal of the Society of Architectural Historians, 39 (3), 1980, S. 224–241. Vaughan Hart mit Peter Hicks (Hg.), Paper Palaces. The rise of the Renaissance Architectural Treatise, New Heaven/ London 1998. S.83-104, u. S.233-246.
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