Architektonische Polychromie



Hans Holbein d.J., Entwurf für das Erdge-
schoss des Hertensteinhauses in Luzern
,
um 1517/18.






















































































1. Einleitung
2. Fassadenmalerei
3. Wandverkleidung

1. Einleitung
Unter Polychromie (griech.: »Viel- Mehrfarbigkeit«) wird allgemein die Bemalung von Aussen- und Innenwänden in verschiedenen Farben verstanden, welche Bau- und Bildwerke dekorieren. Bereits in der Antike fanden die Fassaden-, Freskenmalerei oder Wandverkleidungen in Form von Inkrustrationen allgemeine Anwendung in der Baukunst und wurde bis zur italienischen Renaissance weiterentwickelt. Nach der Hochrenaissance nahm die bunte Bemalung von Aussenwänden ab und erhielt erst durch die Bemühungen der Architekten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erneute Aufmerksamkeit.

Im kunsthistorischen Kontext wurden die mehrfarbigen Wanddekorationen als Bildträger und Scheinarchitekturen betrachtet und weniger als konstruktive Elemente des Baus. Aus diesem Grund gibt es in den bedeutendsten Traktaten zur Architektur und Kunst der Renaissance keine eigene Theorie zum Themengebiet der architektonischen Polychromie. Nur beiläufig erwähnt Alberti in seiner Architekturabhandlung „De re aedificatoria“ (1485) in den Büchern VI – IX die mögliche Farbgebung des Baumaterials.
Vasari erwähnt in seinen Viten über die wichtigsten Künstler zur Zeit der Renaissance hauptsächlich die figürlichen Elemente und vernachlässigte so den dekorativen Zusammenhang des Gesamten.1 Auch Andrea Palladio verzichtet in seinen "Quattro libri dell’architettura" von 1570 auf die Regeln für die Gestaltung wichtiger Elemente des Baus. Nach seiner Einschätzung müssen sich die Architekten den Vorstellungen der Auftraggeber beugen, anstatt den eigenen Ansichten folgen zu können. Am deutlichsten zur Malerei als dekoratives Element am Bau äussert sich Sebastian Serlio, im IV. Buch seines Traktates „Regole generali di architettura“ (1537), welches sich hauptsächlich mit der architektonischen Ordnung befasst.2 Auch Hans Holbein d. J. widmete sich der Scheinarchitektur, was aus seinen Entwürfen zur Gestaltung der Fassadendekoration herausgeht.3

2. Fassadenmalerei 4

Die Fassadenmalerei, als ein Hauptbestandteil der gemalten Dekoration, fand ihren Ursprung in der Darstellung von Heiligen, die vor allem im 14. Jahrhundert in der oberitalienischen Baukunst zu finden sind. Die farbig dekorierten Fassaden bestimmten die Gestalt eines Stadtbildes. Sie kennzeichneten die einzelnen Gebäude und erfüllten deren Besitzer mit Stolz. Die Fassaden öffentlicher Bauten konnten eine allgemeine Idee oder Erinnerung der Bevölkerung oder eine politische Aussage als Inhalt haben. Im plastisch reicheren Baustil des 15. Jahrhunderts gaben die farbigen Fassadendekorationen dem Stadtbild einen prachtvollen Anblick, von dem wenig erhalten geblieben ist. Das Wissen über deren Darstellung beruht hauptsächlich auf schriftlichen Nachweisen in Kunst- und Architekturtrakten.
Alberti bezieht sich in seinem IX. Buch im IV. Kapitel auf die Wandmalerei. Die Aussenwände dienten zur öffentlichen Repräsentation eines Gebäudes innerhalb eines Stadtbildes. So sind laut Alberti Architektur und Malerei gleichermassen an das allgemeine kulturelle Verständnis der Öffentlichkeit gebunden. Er bevorzugt eine dezente Anbringung von Bildnissen oder Figuren, sodass die Wand nicht gänzlich verdeckt und eingenommen wird. Die gemalten Ereignisse sollen auf gerahmte Platten angebracht werden. Aus den Ausführungen von Alberti geht die Bewunderung der Antike deutlich hervor, denn er bezieht sich immer wieder auf die Schriften Plinius und nimmt die antiken Kaiserhäuser als Anhaltspunkt.
Die erste zusammenhängende Theorie zur Fassadenmalerei formulierte Sebastian Serlio in Venedig in seinem Traktat "Regole generali" von 1537, die in der deutschen Ausgabe von 1609 im Kapitel XI. des Buch IV. zu finden ist. Der Architekt Serlio akzeptierte die farbigen Fassadendekorationen als künstlerisch wertvolles Bauelement, aber er erkannte deren verändernde Wirkung auf die architektonische Strukturierung. Der Architekt sollte den gesamten Bau leiten und so darauf achten, dass die formale Ordnung bewahrt bleibt. Zudem gab er den Künstlern eine exakte Empfehlung für die Ausführung der dekorativen Elemente am Bau. Der Maler hat die Aufgabe sich den Vorstellungen des Architekten zu beugen und durch die Bemalung die Wirkung des Gebäudes steigern. Er lehnte die Vielfarbigkeit in der Gestaltung von Fassaden ab und befürwortete die Chiaroscuromalerei, die Hell-Dunkel-Malerei. Laut Sebastian Serlio soll die Bemalung der Fassaden nicht die Wirkung von Scheinarchitektur haben und bei der Darstellung von beweglichen Objekten sollte der Hintergrund der eigentlichen Wandfarbe entsprechen.5 Somit stehen Serlios Ansichten im Gegensatz zu den antiken Massstäben, welche von Vitruv geprägt wurden. Vitruvs Ausführungen in "De architectura VI" im V. Kapitel sprechen für die Scheinarchitektur in der Malerei.6 Im 16. Jahrhundert war die vielfarbige Fassadenmalerei in den oberitalienischen Städten Mantua, Pesaro und Venedig am reichsten vertreten. Ein anschauliches Beispiel bietet die Fassade des Fondaco dei Tedeschi in Venedig, die von Giorgione und Tizian mit Fresken bemalt wurde. Neben diesen zwei Künstlern gehören auch Raffael und Giorgione zu den bedeutendsten Fassadenmalern der Renaissancezeit.

3. Wandverkleidung

Eine weitere Möglichkeit die Fassaden mehrfarbig zu dekorieren, bot das Anbringen von Steinplatten oder der Gebrauch von farbigem Verputz. Zwischen dem Wortgebrauch Inkrustation und Verputz wurde im 15. und 16. Jahrhundert nicht unterschieden. Diese Tatsache lässt die in der Renaissance formulierten Aussagen über das Mauerwerk nur vage analysieren. Auch schon die Architekturtraktate der Renaissance zeigen bei der Quelleninterpretation Vitruvs einige Diskrepanzen bezüglich Mauerwerk und Verkleidung.7
Im Kapitel X des VI. Buches, welches hauptsächlich das Zersägen und Anbringen der Marmorplatten thematisiert, widmet Alberti auch einige Sätze der harmonischen Zusammenstellung dieser Platten. Er empfiehlt bei der Anordnung und Reihenfolge gewisse Übereinstimmungen erkennen zu lassen: „[...] debbonsi accommodare le macchie alle macchie i colori a colori, & le cose fimili alle simili; di modo che l’una renda l’altra gratiosa.“. Zudem erwähnt Alberti eine weitere Bekleidungsmöglichkeit. Das Mosaik wird mit Hilfe zusammengesetzter Teilchen aus Stein, Glas und Muscheln hergestellt. Auch hier empfiehlt der Verfasser die verschiedenen Farben der Materialien in geeigneter Weise anzuordnen (Alberti, XI, Kap. X.).
Auch in Serlios Architekturtraktaten sind Empfehlungen bezüglich der Dekoration des Mauerwerks zu finden (Serlio, IV). Er erwähnt neben anderen Materialien auch die Verkleidung mit Marmorplatten als Schmuck venezianischer Fassaden.8



Anmerkungen

1. Burckhardt 2000, Bd. 5, S. 278.
2. Wolters 2000, S. 8.
3. Folgender Abschnitt basiert auf Burckhardt 2000, Bd. 5, S. 276 – 285.
4. Wolters 2000, S. 80-83.
5. Uhle-Wettler 1994, S. 42.
6. Burckhardt 2000, Bd. 5, S. 278.
7. Wolters 2000, S. 45f.
8. Wolters 2000, S. 60.



Bibliographie
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Burckhardt, Jacob, Werke, Neudr. der Urausg. von 1855, Bd.2/3, Der Cicerone, München: Beck 2001 und Bd.5, Die Baukunst der Renaissance in Italien, München: Beck 2000.
Dunlop, Anne, Painted Palaces: The Rise of Secular Art in Early Renaissance Italy, University Park, Pa.: Pennsylvania State University Press, 2009.
Hermann, Claudia und Jochen Hesse, «Das ehemalige Hertensteinhaus in Luzern: die Fassadenmalerei von Hans Holbein d. J.», in: Unsere Kunstdenkmäler, 44 (2), 1993, S. 173–186.
Hesse, Jochen, Die Luzerner Fassadenmalerei, Luzern: Kommissionsverlag Raeber Bücher, 1999.
Hirschfeld, Werner, Quellenstudien zur Geschichte der Fassadenmalerei in Rom im 16. und 17. Jahrhundert, [S.l.]: [s.n.], 1911.
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Klopfer, Paul, «Von der Farbe in der Baukunst», in: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 23, 1929, S. 1–13.
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Uhle-Wettler, Sigrid, Kunsttheorie und Fassadenmalerei (1450-1750), Alfter: VDG, Verlag und Datenbank für Geisteswissenschaften, 1994.
Wackernagel, Martin, «Malereien am Äusseren der Gebäude und im Stadtbild», in: ders., Der Lebensraum des Künstlers in der florentinischen Renaissance. Aufgaben und Auftraggeber, Werkstatt und Kunstmarkt, Leipzig: Seemann, 1938, S. 188–198.

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