Grotteske, Arabeske, Maureske



Wendel Dietterlin, Architectura de Postium
seu Portalium ornatu uario
, [Strassburg]:
Bernhard Jobin, 1595.

































































































1. Das architektonische Ornament
2. Grottesken
3. Arabeske und Maureske

1. Das architektonische Ornament
Unter Venustas (Anmut), eine der drei Grundvoraussetzungen der Architektur, gehören drei ästhetische Grundbegriffe: eurythmia (Harmonie durch die Zusammensetzung der Glieder), symmetria (Proportionsverhältnisse der Teile zum Ganzen) und decor. Decor wird in erster Reihe mit “Schicklichkeit” (das Sich-Geziehmende) und “Angemessenheit” umschrieben. Vitruv thematisiert damit also, dass Ornamentik dem Bau angepasst sein muss. In der Abfolge der Säulengenera gibt es eine Steigerung an Zierlichkeit und Reichtum an Schmuck (Säulenordnung nach Vignola) . Sowie wie Vitruv die Charakter antiker Götter mit bestimmten Eigenschaften tradiert hat, überträgt er diese auch auf die ihnen jeweils geweihten Bauwerke. (Bsp. Dorisches Genus eigne sich für Tempel der Minerva). Die Einheit von Proportion, Symmetrie, Stil, Wahl des Standorts und Status des Eigentümers umschreiben den Begriff decor. Schon bei Vitruv stossen wir auf den Begriff des ornamentum (resp. ornare). (Link 10 Bücher der Arch.) er verwendet diesen Begriff im weitesten Sinne als “Ausstattung” und “Schmuck”. Ästhetische Fragen behandelt Alberti in der zweiten Hälfte des Traktats “De Re Aedificatoria” Decem Libri De Re Aedificatoria (1443 begonnen, 1452 abgeschlossen, erste Druckausgabe: Florenz 1485) hier ist insbesondere auf das 5. Kapitel im 9. Buch zu verweisen (9. Buch, Kapitel 5) : An dieser Stelle werden die entscheidenden Begriffe wie Schönheit (pulchritudo/ ital. belleza) und Schmuck (ornamenta/ ital. ornato). Alberti unterscheidet in Bezug auf Verwendung von Ornament zwischen Sakralbauten, öffentlichen Profanbauten und Privatbauten. Die Menge an Ornamentik habe mit Würde zu tun, deshalb sollen Sakralbauten am prächtigsten ausgestattet werden, Privatbauten in der Regel zurückhaltend, die Ausschmückung öffentlicher Profanbauten liegt dazwischen.

Zur Zeit Vitruvs existieren in Italien Malereistile, die in die vier pompejanischen Stiele unterteilt werden. Vor allem im dritten Stil (“Ornamentaler Stil”, ca 15.v. Chr. – 50 n. Chr.) schmücken feine Bänder und Girlanden die Wandfelder, sie können ausserdem als Trennbänder auftreten. Diese Wandmalereien nehmen insofern schon Elemente des später als Grotteske bezeichneten Ornamenttyps vorweg, dass sie statt Säulen Pflanzenstengel, statt Gebälke Felder mit gerolltem Laub und Voluten zeigen und dass die Bänder oder Girlanden strukturierend eingesetzt werden. Vitruv kritisierte die schwerelosen Kompositionen der pompejanischen Malereien wie auch die in ihnen oft vorkommenden phantastischen Mischwesen, die monstra.1 Casa dei Vetti

2. Grottesken
In der kommentierten Vitruvausgabe von 1556 (Venedig) wird sich Daniele Barbaro der Kritik von Vitruv anschliessen. Er schreibt: grottesche sind animali, che portano Tempi, colonne di cannuccie, artigli di mostri, difformita di nature, misti di varie specie. Sein Verständnis des Grotteskenbegriffs zielt somit, wie bei Vitruv, auf die Gesamtkomposition des Ornaments wie auch auf die einzelnen darin vorkommenden Motive. Wir stellen also fest, dass es zwei Positionen gab. Die eine kritisierte diese phantastischen Wesen, während die andere für die Freiheit des Künstlers in seiner Gestaltung plädierten. Die nach der Antike entstehenden genuinen Ornamente werden Antikisierende Ornamente genannt. Eine wichtige Rolle in der Geschichte des Ornaments und der Grotteske nimmt die Entdeckung der römischen Domus Aurea am Ende des 15. Jahrhunderts ein. Sie hatte unterirdische ‘Grotten’ in denen ornamentale Wandmalereien entdeckt wurden. Der Name “Grotteske” wird deshalb ursprünglich auf diese phantastischen Malereien und deren Entdeckungsort zurückgeführt. Alle antiken Lotos-Derivate, d.h. Palmetten, Wellenranken und Akanthusspielarten und alle geschmückten Stäbe und Hohlkehlen, darunter besonders Blattstab und Kymation sind zu den reinen Ornamenten zu zählen und werden seit der frühen Neuzeit weitergeführt oder transformiert.2

Seit dem 15. Jahrhundert werden als ornamentale Gegenstände Festons und Girlanden, Früchtbündel, Baluster, Vasen, Kandelaber, Bukranien (Stierschädel mit Girlanden oder Rosetten), Trophäen, Greifen, Pferde, oft Vögel, Sphingen, Schlangen, Putti und Eroten, vegetabilisierte Tier- und Menschenfragmente, sowie Medaillons, Rosetten und Kränze verwendet. Eine Funktion des grottesken Ornaments (Les oeuvres d'Architecture) ist die flächenfüllende. Hier wird eine meist gerahmte, dekorierte Fläche gänzlich mit Ornament geschmückt. Die Bewegungen innerhalb des Ornaments sind nicht nur horizontal und vertikal, sondern auch diagonal und kreisförmig, oder miteinander vermischt. Typisch für das grotteske Ornament ist die Aufeinanderstapelung der Motive, dies erfolgt, nicht nach rationalen statischen Prinzipien. Wie erwähnt tragen Ranken oder Blütenstiele Architektur oder Figuren, Putten stehen auf Ranken, oder menschliche Figuren werden als tragende Säulen eingesetzt.

Im 16. Jahrhundert kombinieren sich in den Loggien des Vatikans von Raffael und Giovanni da Udine Grottesken-Malereien mit weissen Stuck-Reliefs Loggien von Raffael. Zwischen 1515 und 1519 werden die Stufetta (Baderaum) des Kardinals Bibbiena, die Loggetta, und die Loggia des vatikanischen Palastes in Rom bemalt. Die wichtigste Neuerung ist, dass gesamte Wandflächen mit weissem Untergrund nach antiker Art und nach Vorbild der Domus Aurea farbige Grottesken-Kombinationen tragen. Sie zeigen Scheinarchitektur, zarte Ranken und Gehänge, Kandelabergrottesken, Medaillons, Mischwesen und Vögel etc. Zahlreiche antike Motive werden neu kombiniert, variiert und mit neuzeitlichen durchsetzt. So auch in den dreistöckigen Loggien der 2. Loggia, dort aber beschränkt auf 13 Pilasterstreifen. Diese sind auch all’antica aber neu ist die Kombination mit weissem Stuck, nach Vasari eine Wiederentdeckung von Udine. Auch in der Gartenloggia der unvollendet gebliebenen Villa Madama des frühen Cinquecento gibt es noch vorhandene Grottesken. Sie befinden sich in Stuck an den Pilastern und gemalt in den Gewölben. Giulio de Medici, der Auftraggeber, verzichtete auf christliche Motive.3

Werfen wir einen Blick in die Länder von Nordeuropa. Sie rezipierten nicht direkt die Antike, sondern bereits die vielfältigen stilistischen und theoretischen Interpretationen derselben durch die italienischen Künstler. Die druckgraphischen Grotteskenentwürfe Italiens vermittelten den norditalienischen und den nordeuropäischen Künstlern das Ornament. Sehr beliebt in Nordeuropa waren beispielsweise die Publikationen von Sebastiano Serlio (er war der erste der sein Architekturtraktat bewusst für den Druck mit Abbildern versetzt hat) mit Anschauungsmaterial im Bereich des Ornaments und seiner Anwendung. Die Abbildung von Wendel I Dietterlin (1595) – laut Günter Irmscher ist er wohl der phantasiereichste Interpret Serlios – zeigt eine Darstellung der Composita. Neben Ast- und Laubwerk , sowie Spitzbogen zeigt sie auch Grotteskenfelder.

3. Arabeske und Maureske
Die Ornamente der Arabeske haben ihre Ursprünge in der spätantiken Akanthus-Wellenranke. Wie Ernst Kühnel ausführt, entsteht sie aus der Idee der Blattranke. Der Stiel wird in unwahrscheinlichen Wellen oder Spiralen geführt und wird verzweigt, auch die Blätter werden gegabelt und gespalten in Formen , wie sie so in der Natur nicht vorkommen.4 Durch das Bilderverbot stossen wir in der aus islamischen Regionen entstehenden Kunst vor allem in der Maureske auf geometrische Muster, abstrahierte Ranken und wellenrankartige Bewegungen. Oft zeichnen die Linien und Ranken kompositionell strenge, geometrische Figuren nach. Die rein flächigen Ornamentkomponenten können sich auch überschneiden. In der Renaissance werden die arabesken und mauresken Strömungen in Europa aufgnommen und in diversen Kontexten angeordnet. Die Einflüsse sind beispielsweise in Ca’ d’Oro in Venedig (mit Mauresken ausgeschmückte Pilaster) oder in Raffaels Loggia (Majolikafussboden) im Vatikan nachzuweisen.


Anmerkungen

1. Irmscher 1984, s. 148.
2. Irmscher 1984 . s. 42.
3. Irmscher 1984, s. 156.
4. Kühnel 1949, s. 4.



Bibliographie
Dacos, Nicole, La découverte de la Domus Aurea et la formation des grotesques à la Renaissance, London: The Warburg Institute, 1969 (Studies of the Warburg Institute; 31).
Dacos, Nicole, Raffael im Vatikan: Die päpstlichen Loggien neu entdeckt (it. 1977/1986), Stuttgart: Belser, 2008.
Forssman, Erik, Säule und Ornament. Studien zum Problem des Manierismus in den nordischen Säulenbüchern und Vorlagenblättern des 16. und 17. Jahrhunderts, Stockholm: Almqvist & Wiksell, 1956 (Acta Universitatis Stocholmiensis. Stockholm Studies in the History of Art; 1).
Irmscher, Günter, Kleine Kunstgeschichte des europäischen Ornaments seit der frühen Neuzeit (1400–1900), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1984.
Kühnel, Ernst, Die Arabeske. Sinn und Wandlung eines Ornaments (1949), 2., verm. Aufl., Graz: Verlag für Sammler, 1977.
Lord, Carla, «[Rezension von Victor Kommerell, Metamorphosed Margins. The Case for a Visual Rhetoric of the Renaissance Grottesche under the Influence of Ovid's Metamorphoses, Hildesheim/Zürich/New York: Olms, 2008]», in: Renaissance Quarterly, 62 (2), Summer 2009, S. 523–525.
Meyer, Peter, Das Ornament in der Kunstgeschichte, Zürich: Schweizer Spiegel Verlag, 1944.
Piel, Friedrich, Die Ornament-Grotteske in der italienischen Renaissance. Zu ihrer kategorialen Struktur und Entstehung, Berlin: de Gruyter, 1962 (Neue Münchner Beiträge zur Kunstgeschichte; 3).
Warncke, Carsten-Peter, Die ornamentale Groteske in Deutschland 1500–1650, 2 Bde., Berlin: Spiess, 1979 (Quellen und Schriften zur bildenden Kunst; 6).

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