Stilprobleme im späten 16. Jahrhundert


1. Wolfgang Lotz: "architecture in the later 16th century"
2. Regularität, Symmetrie, Ordnung
3. Vignola
4. Michelangelo
5. Stilfrage

1. Text von Wolfgang Lotz: "architecture in the later 16th century

Die Übergangszeit zwischen Renaissance und Barock ist von unterschiedlichen Einflüssen geprägt. Die Bauten jener Zeit können nicht endgültig einer Epoche zugeschrieben werden. Auf diese Komplexität der Definition des architektonischen Stils des späten 16. Jahrhunderts geht der deustche Kunsthistoriker Wolfgang Lotz in seinem Artikel "architecture in the later 16th century" aus dem Jahre 1958 ein. Darin kritisiert er das Buch "Renaissance und Barock" von Wölfflin, welches nach Lotz zu allgemeine Definitionen des Cinquecento beschreibt. Er erklärt die Probkematik am Beispiel der Jesuiten Kirche Il Gesú, welche einerseits dem Barrock und andererseits dem Manierismus zugeschrieben wurde.

Durch Vergleiche von Bauwerken und Traktanden der Jahre 1550 bis 1560 von verschiedenen Künstlern und Revisionen dieser Werke von bekannten Kunsthistorikern, versucht der Autor dieser “rätselhaften Lage” eine Antwort zu geben. Die Jahre 1550 bis 1560 entsprechen der Zeit vor dem Aufbau der Kirche Il Gesú, welche als Prototyp des Stilwechsels zwischen Renaissence und Barock gilt.

2. Regularität, Symmetrie, Ordnung

Die vorherrschenden Ideale der Jahre 1550 bis 1560 waren Regularität, Symmetrie, Ordnung und die korrekte Befolgung von Regeln der antiken Architektur oder der „göttlichen“ modernen Meister. Es wurden Grundlagen und Formen für den späteren Barock geschaffen, wilde Fassaden wurden beruhigt und es entstand eine klassische Balance. Michelangelo zählte als Hauptfigur für diese Periode und obwohl er keinen neuen Bautypen erfunden hat, waren seine Bauzeichnungen so außergewöhnlich, dass seine Projekte als unantastbar dekalriert wurden. Die klassische Balance hat sich in verschiedenen Richtungen gezeigt; Palladio hatte ein so hohes Verlangen nach klassischer Balance, dass er sich nur, neben seinen eigenen Gebäuden und den antiken Monumenten, mit Bramante’s Tempietto beschäftigte, welches natürlich die klassischste von allen moderenen Strukturen war. Palladios Interesse an Bramante wurde auch durch seine Zeichnung vom Palazzo Caprini bewiesen. Dasselbe hat Rudolf Wittkower in seinem Buch „Principles in the Age of Humanism“ berichtet. Die Nachahmung von Bramantes Palast durch Palladios Fassade des Palazzo Porto Colleoni in Vicenza ist zu offensichtlich.

Ein anderes Beispiel dafür, sind zwei Bauten von Sanmichelli. Zum einen der Palazzo Bevilacqua von 1530 und der Palazzo Pompei von 1555 , beide in Verona. In diesen Palästen kann man sehr gut sehen, wie sich der Stil vom Komplexen im früheren Bau zum Ruhigen, Regulären im späteren Bau verändert hat. Ein herausragendes Beispiel für eine solche Orthodoxie und etwas starre Anwendung der alten Ordnung ist Palladios Fassade des Palazzo Chiericati in Vicenza, welches zwischen 1551 und 1554 erbaut wurde. Wittkower betonte auch hier, dass dieser dorische Palast immer noch etwas von der einfachen Größe von Bramantes Tempietto hat.

3. Vignola

Vignolas Abhandlung von 1562 ist eine deutliche Äusserung der neuen Orthodoxie. Er entwarf den Palazzo Bocchi in Bologna mit seinen wilden, rustikalen Blöcken, seinen Obelisken und seinem reichem Skulpturenschmuck. Diese Konstruktion zeigte den Punkt der Veränderung von Vignolas Stil. Ein paar Jahre später wurde er wieder ruhiger und kehrte zu traditionelleren Entwürfen zurück, was man in seinem Casino Villa Giulia von Papst Julius III in Rom sehen kann. Dieser Kompromiss führte er in seinen Fassaden weiter; in Caprarola, im Jahre 1559, erscheint die Wand vollständig abgeflacht und das System von Pilastern wirkt sehr ruhig. Diese Rückehr zur kalssischen Balance, genauer zur Regelmäßigkeit und der alten Ordnung findet man in vielen Gebäude dieser Epoche.

4. Michelangelo

Ein vergleichbarer Prozess der Beruhigung kann man in Michelangelos späteren Arbeit beobachteten. Seine Paläste auf dem Kapitol, mit all ihren neuartigen Eigenschaften, zeugen von einer sehr viel strengeren Anwendung der klassischen Balance als die Laurentian Bibliothek. Der Kontrast wurde bereits 1853 von Jacob Burckhardt in seinem „Cicerone“ betont; er nannte die Bibliothek: „das erste Gebäude, in welchem sich der Architekt bewusst der Bedeutung der Aufträge entzieht". Danch kehrte Michelangelo wieder zur Idealvorstellung der Renaissance zurück, wonach eine Kirche freistehen und überhöht durch ein Stufenpodium aus der Umgebung herausragen sollte. Es entstand ein statischer Raum, welcher den Besucher um die in der Mitte angebrachte Reiterstatue rotieren lässt.
Diese Rotation, sei es innerhalb oder ausserhalb eines Gebäudes, ist ein wichtiges Merkmal der Zeit zwischen 1550 und 1560.

Ein anderer Aspekt, welcher dieses Bedürfnis nach einem statischen Raum zeigt, ist das erneute Auftreten von Kirchen im Zentralbau. Der Entwurf für die Kirche St. Peter in Rom, ebenfalls von Michelangelo, ist hierfür ein wichtiger Anhaltspunkt. Die Kirche befindet sich auf einem Platz, welcher auf drei Seiten von Gebäuden eingerahmt wird. So entsteht wieder eine Zirkulation um das Objekt, wie beim Kapitol. In einem Fresko wenige Jahre später, sehen wir den St. Peter mit dem 1586 errichteten Obelisken. Die Kirche wächst, wie der Obelisk, in die Höhe, um wirkt so als Richtungsangabe.

5. Stilfrage

Zum Schluss des Textes nimmt Lotz wieder das Problem der Stilfrage auf und betont, dass die Entwicklungslinie nicht so einfach zu erfassen ist, wie sie Wölfflin definiert hatte. Es gab keine plötzliche Pause; Strukturen wie II Gesù zeigen die Problematik auf. Sie können von "konservativ" bis "progressiv" betitelt werden und beinhalten ältere und neuere Prinzipien der räumlichen Komposition. Für die Analyse von spezifischen Stilrichtungen empfiehlt er die Einteilung in Dekaden an Stelle von Jahrhunderten. So kann man auch ein besseres Verständnis der Arbeit von grossen Architekten schaffen. Man sollte lieber eine Zusammenfassung der Vergangenheit und eine Einschätzung der Zukunft vornehmen, anstatt stilistische Grenzen zu erschaffen, die nur für kleine Persönlichkeiten gelten und nicht der Genialität der grossen Meister entsprechen.



Bibliographie
Lotz 1958, Wolfgang Lotz, «Architecture in the later 16th century», in: College Art Journal, Vol. 17, No. 2 (Winter, 1958), pp. 129-139.
Zürcher 1947: Richard Zürcher: , Stilprobleme der italianischen Baukunst des Cinqueccento. Basel 1947, S.33-50.


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