Zum Tagungsthema
Starke, wütende, süße, fiese Mädchen, good girls und bad girls, fat girls und sad girls, waif und Wildfang, Tomboy und Nesthäkchen, geek girls, und Superheldinnen, diverse‘ girls* of color mit intersektionaler Agenda und deutsche Mädels mit blonden Zöpfen, Mädchen mit Basecap und mit Kopftuch, girls, grrrls, gurls, Rebellinnen mit Pfeil und Bogen, Heidis Mädchen, Mädchen-cyborgs, Pferdemädchen, total natürliche Mädchen und Mädchen, die sich gerade nicht über das biologische Geschlecht bestimmen: Die Pop(ulär)kultur macht vielfältige Mädchen-Figuren sichtbar und, im Sinne Angela McRobbies, «luminous».
Mädchen kuscheln, kratzen, lästern, lauschen, lieben, tiktoken, twerken, tratschen, zähmen, zicken. Wenn wir mit Simone de Beauvoir davon ausgehen, dass Mädchen nicht als Mädchen geboren, sondern zu Mädchen werden, dann verweist das Mädchenhafte aus kulturanalytischer Perspektive nicht zuletzt auf habituelle und ästhetische Stile. Sie werden in kulturellen Repräsentationen aufgeführt und in (Mädchen*-)Gruppen gelebt, die sich nicht nur wegen, sondern auch trotz ihrer – weiterhin in vielerlei Hinsicht untergeordneten – gesellschaftlichen Rolle und den damit verbundenen Regeln und Codes mädchenhaft verhalten. «Mädchen*fantasien» meint hier zweierlei: einerseits die riechenden, tastenden, schmeckenden, hörenden, fühlenden Jugendlichen selbst – samt ihrer welt-schaffenden Imaginationen, ihren Träumen, Wünschen und Sehnsüchten. Anderseits mediale, auch fiktionale Repräsentationen von Mädchen und Mädchenhaftigkeit sowie die gesellschaftlichen Hoffnungen, Heilsversprechen, Utopien, Vorurteile, Begierden Verniedlichungen etc., die auf Mädchen projiziert werden und die sie aushalten müssen.
Gerade in den letzten Jahren sind die Stärkung von Mädchen, die Schaffung positiver Identifikationsmöglichkeiten und die Abkehr von althergebracht-patriarchalen Normen zu besonders prominenten Zielen von progressiver Kulturproduktion und -politik avanciert. Junge Frauen* steigern mit ihrer Kritik die Sensibilität gegenüber sexistischer (und anderer) Diskriminierung. Prominente Botschafter*innen gegen Klimawandel, Krieg, Flucht und Vertreibung, für den Tierschutz und für Mädchenrechte sind, wie vielfach kommentiert, derzeit oft Mädchen. Black lives matter begann in den USA als von jungen Frauen geführte Bewegung. In den sozialen Medien gehen Pop und Politik ohnehin ineinander über: Aktivismus organisiert sich über die sozialen Medien und Mädchen partizipieren und artikulieren sich auf diesem Weg; nicht wenige Influencer*innen sind woke; mädchengeprägte fandoms gehen in Polit-Aktionen über. Der zeitgenössische Feminismus tritt auch und gerade als junger, populärer Netz-Feminismus an die Öffentlichkeit. Anders gesagt: In einer Zeit, in der die alten, weißen Männer als politisch-moralische Anti-Figur der Gegenwartskultur(kritik) fungieren, verspricht das Mädchen* vielfach (wieder?) eine bessere, gerechtere, jugendlichere, und vielleicht auch: sinnlichere Welt – der die Zukunft gehören könnte.
Vor dem Hintergrund solcher zeitdiagnostischer Einsätze, aber auch einer offenen Herangehensweise an das Themenfeld der «Mädchen*fantasien», führt die Tagung ethnografische, medienkulturanalytische und historisch-anthropologische Beiträge zusammen und bringt sie miteinander ins Gespräch. In einer auf verschiedenen Ebenen weiterhin Jungs-dominierten Populär- und Unterhaltungskulturforschung verschafft sie Mädchen*-Stimmen Gehör und spürt geschlechtskonstituierenden und -spezifischen Wahrnehmungsweisen nach. Sie fragt, wie kulturelle Figurierungen des Mädchenseins gesellschaftliche Konjunkturen prägen. Und sie bietet Gelegenheit zum Nachdenken darüber, wie sich Begriffe, Gegenstandsbestimmungen und Forschungsstile verändern müssen, um Mädchen im Kontext von populärer Unterhaltung und Vergnügung nach eigenen Maßstäben zu verstehen und zu beschreiben. Besondere Beachtung schenken wir dabei im Sinne des sensual turn dem Sinnlichen und Imaginären und somit der Ambivalenz von hegemonialen Angeboten und (sinnlicher) Aneignung, von Wahrnehmen und Evozieren, Spüren und Repräsentieren, Fühlen und Handeln, Hören und Sprechen.
Hier geht es zum ungekürzten Call for Papers.