“At least I can always recognize mine in a meeting!”

Interview mit Rahel, 17. März, 2023

Der Laptopdeckel:

Über Rahel

Rahel (42) ist in der ZKB eine Führungskraft, sie leitet und entwickelt Projekte auf hohem Niveau. Rahel hat sich durch ihre innovative Denkweise, Kreativität, ihr Durchhaltevermögen und durch ihre positive Herangehensweise zu Projekten sowie an Menschen in der Karriereleiter der Zürcher Kantonalbank hochgearbeitet. Das Genderthema ist in ihrer Karriere nicht zu übersehen. Die Generaldirektion der ZKB weist eine Geschlechterverteilung von 7:1 vor. Unter acht Geschäftsleiter:innen ist nur eine Frau auf diesem Level. Auch auf dem Level von Rahel ist sie unter sieben Mitarbeiter:innen die einzige Frau. Auf dem Niveau ihrer direkten Vorgesetzten arbeiten zwei Frauen und vier Männer. Deutlich wird also eine ungleiche Geschlechterverteilung, welche sich auf das jeweilige soziale Umfeld des jeweiligen Kolleg:innen- und Mitarbeiter:innenkreises auswirkt. Die Vermutung liegt nahe, dass es eines überdurchschnittlich starken Charakters und Durchsetzungsvermögens bedarf, um sich in einem sozialen Netzwerk einzubringen, in dem man selbst einer Minderheit angehört. Blickt man auf das Interview mit Rahel, scheint auch ein optimistischer und zukunftsorientierter Charakter durch. Ob sich diese Themen in den Aufklebern finden, lassen wird unter anderem im folgenden Blog untersucht.

Die Sticker

Die vorbildliche Rebellion

“I don’t know why I stuck that on it… Out of ‘rebelness’… because it’s not from ZKB”

Interview mit Rahel, 17. März, 2023

Der „Anund Pfirsich“ Aufkleber stammt von einem Improvisationstheater in der Stadt Zürich. Es handelt sich hier um einen der wenigen Sticker, welche nicht Arbeitsteams der ZKB repräsentieren. Rahel sieht im Aufkleben dieses Stickers einen harmlosen rebellischen Akt. Er erlaubt ihr, sich auf spielerische Art gegen die Hegemonie des Arbeitsgebers zu wehren und dient dadurch als Ausdruck ihrer privaten Persönlichkeit. In ihrer Führungsrolle wird Rahel durch ihr Umfeld stärker wahrgenommen, als dies der Fall wäre, wenn sie keine Führungsposition belegen würde. Bedingt durch diese sozial exponierte Lage ist gerade auch die genaue Ausdrucksform des rebellischen Aktes wichtig, da diese auf geschmacksvolle Weise geschehen muss, ohne die Firmenphilosophie zu hinterfragen bzw. zu widerlegen. Als kunst- und kulturbegeisterte Frau, die auch selber in einem Chor mitsingt, scheint die Wahl des Stickers gut zu ihrem Charakter zu passen. Der rebellische Akt zeichnet sich also dadurch aus, dass eine persönliche Seite gezeigt wird, welche erstens nicht im Konflikt mit der Firmenphilosophie steht und zweitens positive Assoziationen mit sich bringt. Angedeutet wird ein Hang zu Kreativität, Innovation, Improvisationsvermögen und „Performance“. Die aufgezählten Eigenschaften sind alle auch im professionellen Kontext einer Projektleiterin von starkem Nutzen. Das Argument scheint nicht allzu weit hergeholt, dass es sich in der Verwendung dieses Stickers neben der selbst deklarierten rebellischen Handlung auch um das Signalisieren bestimmter Tugenden handelt. Zu sehen ist eine Repräsentation von nützlichen inneren Werten nach Aussen, welche auf subtile Weise auch auf ein gewünschtes Arbeitsklima hindeuten könnten. Durch die führende Rolle Rahels bekommt eine solche Message möglicherweise auch eine grössere Reichweite.

Extrovertierte Repräsentation

„’Don’t settle for less’ is my favorite… it’s a personal motto…”

Interview mit Rahel, 17. März, 2023

Die Aufschrift „Don’t settle for less“ entstammt dem Lied „Don’t Settle“ von Glen Hansard (2019 erschienen). Einzigartig ist der hier ersichtliche Aufkleber, weil es sich um einen der wenigen Aufkleber handelt, die nicht von Teams innerhalb der ZKB stammen oder auf andere Weise mit der ZKB in Verbindung stehen. Dadurch ist dieser Sticker auf persönlicher Ebene für Rahel von besonderer Bedeutung. Er stellt eine schwierigere Phase ihres Lebens dar und weist gleichzeitig durch ein persönliches Motto den Weg in die Zukunft. Das Thema der „Lebensphasensticker“ auf dem Laptop Deckel ist ein Interessantes, da hier eine biographisch-historische Dimension auf die vergängliche Natur eines technischen Gerätes stösst, welches innerhalb von verhältnismässig wenigen Jahren technisch obsolet wird. Es trifft also ein Bestandteil eines menschlichen Lebens, welches oft achtzig bis neunzig Jahre überschreitet, auf ein Gerät, dessen Lebensspanne meist nicht viel länger als fünf bis acht Jahre überdauert. Diese Art der Verarbeitung einer Lebensphase scheint passenderweise eben durch ihre Vergänglichkeit gekennzeichnet. Wie der Laptop nach seiner dienlichen Phase verschwindet und lediglich als Träger bestimmter Aufgaben während seiner aktiven Zeit fungiert, wird auch das Leben weiterschreiten und positive wie auch schmerzhafte Erinnerungen, welche ebenfalls als Träger von veränderlichen, vorübergehenden Ansichten und Perspektiven gelten können, werden integriert und treten einem grossstrukturellen Gesamtbild zu. Der Laptop und die darauf geklebten Bilder sind also analog zu den Erinnerungen mit den ihnen anhaftenden Ereignissen, welche zum beobachteten „Stickerverhalten“ führten. Beide Objekte weisen eine vergängliche, aber höchst nützliche Natur, welche einem grösseren Ganzen dienen. Der Laptop dient der Geschichte der Firma und der durchgeführten Projekte und die Erinnerungen dienen der Geschichte der menschlichen Biographie. Somit argumentiere ich, dass der Laptopdeckel in diesem Fall eine Schnittstelle zwischen kommerziellen und biographischen Entwicklungen darstellt.

Nach der Arbeit ist vor der Arbeit

“It’s more colorful and it’s a personal touch!”

Interview mit Rahel, 17. März, 2023

„Zum Gaul“, ein beliebtes Lokal, welches auch lokal ist. Angeboten werden vor allem Bio-Produkte aus der Gegend. Das Lokal ist ein Ort, den Rahel in der Mittagspause oder auch mal nach der Arbeit zum Essen oder für einen Drink aufsucht. An dem sich Rahel mit ihren Kollegen während der Mittagspause trifft, um Kommendes oder Geschehenes zu besprechen, zu planen, Strategien zu entwickeln und zu verarbeiten. Dieses lokalvernetzte Unternehmen ist also ein Knotenpunkt, an dem sich die Arbeit und die Freizeit verbinden. Ein Erholungsort für zwischendrin und ein Ort zum Abschalten für danach. Der Gaul zeigt, wie verknüpft das berufliche mit dem privaten Leben ist, wie zeitgleich und verwoben diese beiden Lebensbereiche sind, oder gar dass diese Kontexte nicht voneinander zu trennen sind. Die Arbeit ist Bestandteil des Lebens und ist im besten Fall anregend, inspirierend und bereichernd. Dass der Sticker dieses Lokals es auf ihren Arbeitslaptop geschafft hat, kann als symbolisch stellvertretend für diese Verbindung gelesen werden. So, wie die persönlichen Sticker von den Firmenstickern eingebettet und kontextualisiert sind, ist auch Rahels Privatleben und ihre persönliche Entwicklung im Kontext ihrer Karriere zu verstehen und nicht als isolierte Themenbereiche denkbar. Dabei ist eine Wechselwirkung zu erkennen, in der die Karriere die private Entwicklung vorantreibt und die entstehenden Charakterzüge wiederum für den Arbeitskontext bereichernd sind.

Verdeckte Hegemonie

A feature, not a bug

“Which is why I stuck the unicorn there, so that the eye would blink red because that’s awesome!”

Interview mit Rahel, 17. März, 2023

Der Einhornsticker repräsentiert zwei Bedeutingsdimensionen. Er stammt von der „Einhorntruppe“ oder dem „Einhornteam“ innerhalb der ZKB, die laut Rahel vermutlich den Stickertrend und die Stickerverbreitung der unterschiedlichen Teams innerhalb der ZKB begonnen hatten. Somit markiert er den Beginn dieser sozial kulturellen Praktik innerhalb der Firma. Dass er gleich oben links, an erster „Lesestelle“ platziert ist, hat aber mit der Zeitdimension nichts zu tun. Oben links wurde er angeklebt, da dort auch das Lenovo Logo platziert ist. Die Motivation, das Logo zu überkleben, entstammt nicht etwa einem Protestakt gegen den Grosskonzern oder gegen den Kommerz an sich, sondern hat vielmehr mit Kreativität zu tun. Durch die genaue Platzierung des Aufklebers leuchtet das Auge des Einhorns mit dem Blinken des „I-Tüpfchens“ über „Think Pad“ rot auf. Sich in bestehenden Strukturen zurecht zu finden und die gegebene Materie auf kreative Weise aufzuwerten scheint ganz dem Charakter Rahels zu entsprechen. Als Projektleiterin ist diese Fähigkeit auf übergeordnetem Level von wesentlicher Bedeutung. Eine Verknüpfung zwischen den exekutiven Fähigkeiten und dem „Stickerverhalten“ herzustellen mag etwas gewagt sein, und doch scheint hier die Aneignung und kreative Überwältigung des gegebenen Terrains durch, wie sie in leitender Funktion innerhalb der Bank auch dienlich sein können.

Die Firma

“It’s kind of a fad in ZKB, every team makes their own stickers”

Interview mit Rahel, 17. März, 2023

Die hier abgebildeten Sticker fallen alle unter dieselbe Kategorie, wie auch der Einhornsticker repräsentieren sie jeweils Teams der ZKB. Das Aufkleben von firmeninternen Stickern zeugt einerseits von einer stark kohärenten Arbeitskultur und andererseits von der kreativen Individualität der jeweiligen Teams. Aufgeklebt werden nicht nur die eigenen Kleber, sondern auch die von relevanten Partnerabteilungen. Die Bedeutung des Laptopdeckels übersteigt also den engeren sozialen Umkreis des eigenen Teams und wird zu einer grossstrukturellen Repräsentationsfläche. Die Identität des einzelnen ist also zumindest visuell, mit der Identität des breiteren Umfeldes verknüpft. Das Gesamtbild des Laptops ist organisch entstanden, wurde nicht geplant und weist laut Rahel eine Parallele zur vorherrschenden Arbeitskultur auf. Ein gemeinsames und vernetztes Bewältigen der anliegenden Aufgaben ist hier auf visuelle Weise verdeutlicht.

Meine Beziehung zur Informantin

Da wir dieselbe Grundschule besucht hatten, kenne ich Rahel nun seit meiner Schulzeit. Wir haben auch einige Zeit in der selben Wohngemeinschaft gelebt. So habe ich eine relativ gute Einsicht in ihre Freizeitinteressen, kann ihren Charakter aus mehrjähriger Erfahrung relativ gut einschätzen und habe aus der Peripherie ihre Erfahrungen aus dem Berufsleben mitbekommen. Meine Analyse ihres Laptops und der darauf klebenden Sticker basiert einerseits auf einem konkreten Interview und andererseits auf einer Beziehung, die ich in diesem Rahmen als teilnehmende Beobachtung ansehe. Ich habe Rahel aus unterschiedlicher Distanz während ca. 20 Jahren beobachten können und habe so ein reiches Hintergrundwissen über ihren Charakter und kenne ihren professionellen Werdegang verhältnismässig gut. Der Vorteil der Wahl dieses Analyseobjektes liegt im Zugang zur Person und zu eben dieser personalhistorischen Dimension. Aus diesem Grund schliesse ich einen Bias nicht aus. Ich argumentiere aber, dass die persönliche Beziehung zur befragten Person in einer solch qualitativen Analyse als Stärke gelten kann, da Schlüsse gefasst und Verbindungen zwischen Charakter und Objekt hergestellt werden können, welche bei einer oberflächlicheren Bekanntschaft nicht möglich wären.

Abschliessend: Wenn der Mensch mit dem Objekt in Zusammenhang gebracht wird

Wird der Laptop im Zusammenhang mit dem Charakter und dem Interview von Rahel in Verbindung gebracht, tritt der Beobachter:in ein Bild entgegen, welches in den Charakter der Besitzerin Einblick gewährt. Die Anzahl der privaten Aufkleber, im Verhältnis zu den firmenrelevanten, weisen einerseits auf einen berufsorientierten Charakter hin, könnten aber andererseits auch auf eine soziale Stellung hinweisen, welche in unmittelbarer Sichtbarkeit existiert. Die dahintersteckende Annahme ist, dass eine Minderheit meist durch ihren Kontrast zum Mainstream sichtbarer gemacht wird. Dies soll nicht bedeuten, dass die ZKB als Firma frauenfeindlich ist, sondern soll viel eher auf latente soziokulturelle Ströme aufmerksam machen. Passend zu dieser Lesart sind auch die Themen, welche in den persönlichen Stickern angesprochen werden. Durchhaltevermögen, Durchsetzungskraft, Kreativität und Improvisationskünste sind Eigenschaften, welche gerade einem Menschen nützlich sein können, der sich in einem grösseren Ganzen zurechtfinden muss.

These & Schlussfolgerung

Betrachtet man Nutzer:in und benutztes Objekt bietet sich die These an, dass sich Charaktereigenschaften und Verwendungseigenheiten wie der Verwendungszweck des Objekts oder der Kontext, in dem das Objekt verwendet wird, der Erscheinung des Objektes ablesen lassen. Auch über den sozialen Kontext, in dem sich die Informantin befindet, lassen sich durch eine genaue Objektbetrachtung Aussagen machen. Das materielle Objekt wird also durch seine Verwendung und durch die aneignende Praktik des „Stickerns“ zu einem Bedeutungsträger und übersteigt somit in seiner Synergie mit der Nutzer:in die rein materielle Ebene.