Übersicht

Über Julia

Der Laptopdeckel

Die Sticker

Innere Dialoge und äussere Grenzen

Über Julia

Julia ist 1998 geboren und studiert im sechsten Semester „Design Management, International“ an der Hochschule Luzern. Die junge Studentin ist sehr engagiert und arbeitet neben dem Studium beim online Magazin „Akut“. Julia ist eine aufgestellte und aktive Persönlichkeit, sie setzt sich für ihre Werte ein und reflektiert über Gesellschaft, Politik, insbesondere über den Prozess und Wandel, der um sie herum stattfindet.

Der Laptopdeckel

Vorab sollte darauf hingewiesen werden, dass die Sticker auf einer transparenten Laptophülle aufgeklebt sind. Denn Julia war nicht immer überzeugt von beklebten Laptopdeckeln. Dass Sticker in gewissen Situationen unpassend sein könnten, ist Julias grösstes Gegenargument, denn sie macht sich Sorgen, in einer wichtigen Situation nicht ernst genommen zu werden. Aus diesem Grund hatte Julia für lange Zeit eine blanke Laptopoberfläche. Nachdem sie sich überwunden und bald darauf in einem Meeting Komplimente geerntet hatte, warf Julia ihre Bedenken über Bord und setzte inspiriert das Stickern fort.

Üblicherweise bevorzugt meine Interviewpartnerin eine minimalistische Ästhetik, doch bei ihrem Laptopdeckel spielt das Erscheinungsbild für Julia schlichtweg keine Rolle.

„Die meisten meiner Sticker stehen für Erinnerungen und Freundschaften

Julia im Interview

Es sind die Geschichten und Gedanken hinter den Stickern, die zählen, erklärt Julia, ansonsten würden sie nicht aufgeklebt werden. Ihr persönlicher Bezug ist entscheidend, so ändert Julia auch Sticker ab, die nichts in ihr auslösen.

Geplant oder absichtlich für den Laptop erworben wurde keiner der Sticker. Denn wenn Julia einen Sticker gerade zur Verfügung hatte, klebte sie ihn spontan auf, dort platziert, wo noch kein anderer ist. Die Anordnung der Sticker ist sehr organisch entstanden, Julias Meinung nach passen die einzelnen Sticker auch nicht wirklich zusammen.

Werfen wir einen Blick auf die einzelnen Aufkleber und hören wir uns an, welche Geschichte Julia darüber erzählen wird. Vielleicht finden wir doch den einen oder anderen Zusammenhang unter ihnen?

Die Sticker

Über Wahres und „pseudo-deep“ Quotes

Dreams do come true, when you kümmer dich selber drum. Ein Seepferd, die orange Farbe bereits etwas abgeblättert. Julias erster Sticker, zentriert.

Genau über das Apple Zeichen zentriert? Nein, wir protestieren in diesem Fall nicht gegen Apple, die Mitte ist Julias Meinung nach einfach ein guter Ort für den ersten Sticker.

Nun wechseln wir für einen Moment die Perspektive, denn schliesslich gibt es mehrere beteiligte Parteien. Zum einen die Besitzerin, zum anderen die Betrachtenden.

Ich beispielsweise sehe eines dieser kleinen Schwimmabzeichen, die wir Schweizer Grundschulschulkinder damals im Schwimmunterricht erhalten haben, als wir geschafft hatten, 25 Meter weit zu schwimmen, ohne gleich mehr als die empfohlene Tagesdosis an Wasser geschluckt zu haben. Oder vielleicht Meeresbiologie?

Erkennbar ist, dass Julias Laptopdeckel und seine Sticker daher nicht nur über Julia etwas aussagen können, sondern, dass sie auch von aussen, in diesem Fall, der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Denn sobald die Betrachtende Person oder der Zeitpunkt wechseln, wandelt sich die Bedeutung.

Behalten wir den Gedanken im Hinterkopf, denn es ist wichtig zu verstehen, dass Laptopbesitzer:innen beim Bekleben ihres Laptops konstant mit dem Faktor der Öffentlichkeit konfrontiert ist. Im Weiteren eröffnet sich uns, was Julia mit ihrem Laptopdeckel von sich preisgibt und im Interview über die Sticker verrät.

Also nein, das kleine Seepferd und der Spruch darum herum stehen weder für ein Schwimmabzeichen noch ist Julia Meeresbiologin. Es ist ein Sticker der deutschen Komikerin, Podcasterin und Hörfunkjournalistin Ines Anioli. Der Spruch ist eines ihrer Lebensmottos, verkündet die Komikerin 2017 auf ihrem Instagram Profil. Ines Anioli behandelt die unterschiedlichsten Themen und ihre eigenen Erfahrungen damit. Von Darmgesundheit, Selbstakzeptanz und Feminismus bis hin zu Immigrationshintergrund und nicht zuletzt, Julias liebster Podcast, „weird crimes“.

Und Julia, ein Fan? 

Auch das ist nicht ganz richtig, in Julias Augen steht der Sticker an erster Stelle für ihre Freundin und die damit verbundenen Erinnerungen.

Denn die junge Studentin wurde von ihrer Freundin auf die Komikerin aufmerksam gemacht. Die beiden besuchten eine Show der Komikerin, so steht der Sticker für ihr gemeinsames Erlebnis und verbindet sie. 

„Es ist einfach witzig und hat etwas Wahres an sich, ohne gleich eine „pseudo-deep Quote“ zu sein.“

Julia im interview

Der Seepferd-Sticker ist Julias Lieblingsstück, er klingt authentisch, zusätzlich steht Ines Anioli für Themen ein, die Julia wichtig findet, sie kann sich damit identifizieren. Das Interesse an der Komikerin ist zwar da, doch klebt der Sticker auf dem Laptop, weil er Julia an ihre Freundin und ihr gemeinsames Lachen erinnert.

Genauso sorgt der kleine Hund mit roter Schlafmütze für freundschaftliche Gefühle bei der Besitzerin. Es handelt sich um ein kleines Mitbringsel einer weiteren Freundin aus dem Urlaub. Das Bild selbst wurde zufällig gewählt, es hat keine eigene Bedeutung, umso mehr steht es allein dafür, dass Julias Freundin an sie denkt. 

An Freundschaften und Erlebnisse wird Julia gerne erinnert. Für eine unwissende Person mögen die Sticker humorvoll, ästhetisch oder einfach niedlich sein, doch Julia zeigt klar, dass dies für sie nur nebensächliche Faktoren sind.

Radikal, aber mit Leichtigkeit

Knallig und ausdrucksstark warten die Sticker der Umweltverantwortungsinitiative darauf, gesehen zu werden. Doch Julia appelliert nicht an Andere, sondern bleibt bei sich selbst. Sie sei etwas zwiegespalten, erklärt sie, eine Aktivistin ist sie nämlich definitiv nicht, jedoch sind ihr die Themen sehr wichtig. Es ist eine Lebenseinstellung. Für Julia gehen Politik und Mindset Hand in Hand. Privatpersonen zu Taten zu bewegen, mache weniger Sinn, wichtig sei eine Veränderung im System, argumentiert Julia und da muss man einfach radikal vorgehen.

Man kann zwar am jetztigen System herumschrauben und sparen, aber wenn man wirklich etwas verändern will, müssen schon grössere Schritte gemacht werden.“

julia im interview

Generell Pro- Umweltverantwortung ist die Studentin nicht, doch sieht sie viel Gewicht in den Aussagen auf den Stickern. Die Sticker vertreten ihre Auseinandersetzung und ihr Mindset, sie kann sich mit den Aussagen identifizieren. Betont spricht Julia davon, dass sie nicht spezifische politische Standpunkte vertreten möchte, sondern insbesondere, dass sich jeder einzelne damit auseinandersetzen sollte. Sie spricht also nicht ein Problem an oder stellt Forderungen, sondern zeigt, dass die politische Auseinandersetzung Teil von ihr ist und möchte dabei darauf hinweisen, dass es nicht um gesetzte Meinungen geht, sondern um einen Prozess und das Bewusstsein, was um einen herum geschieht.

Gefunden hat sie die Sticker zufällig online, man konnte sie gratis im Set bestellen. Diese beiden Sticker waren der Grund für ihre Bestellung, sie sind cool und sagen viel aus.

Eine Aussenstehende würde die Schlüsse ziehen, dass Julia klar die Umweltverantwortungsinitiative unterstützt, doch durch das Interview mit Julia wird deutlich, dass es sich bei ihren Stickern und deren Bedeutung um einen inneren Dialog handelt. 

Sybille und die Giraffe, Julia und der Support

Das Studium ist für Julia nicht lediglich ein Ausbildungsweg, sondern vertritt einen wichtigen Teil ihrer Lebenseinstellung und Werte sowie ihrer Person. Die junge Studentin ist sehr engagiert und bemüht sich um das Sozialleben in ihrem Studiengang. Sie erkennt grossen Wert in Verbindungen zwischen Studierenden untereinander sowie zu den Arbeitstätigen in ihrem Fachbereich. Dafür steht der schwarze Sticker auf Julias Laptop „Design Management Student Association“, der Studentenverband, von welchem die Studentin Mitglied war. Teil des Teams kann man zwar nur in den ersten beiden Studienjahren sein, trotzdem fühlt sich Julia jetzt noch als Teil davon.

„Ich denke, es wird immer eine Community bleiben.“

julia im interview

In dem Studiengang sei der Weg in die Arbeitswelt eher ungewiss, erläutert Julia, deshalb sei es umso wichtiger, dass der Kontakt aufrechterhalten bleibt. Dafür setzt sich nun die Studentin ein, der Austausch zwischen den Alumni und den Studierenden soll gefestigt werden.

Zusätzlich zum regelmässigen Austausch empfindet Julia die gegenseitige Unterstützung sehr wichtig. Sie selbst supportet ihre Mitstudierenden gerne und möchte deren Arbeit auch nach Aussen präsentieren. 

Die Giraffe Sybille und den Baum hat Julia an den Infotagen ihrer Hochschule erworben. Der Studiengang «Illustration» war dabei mit einem Tisch voller Sticker vertreten. Sie sind klein und handlich, teuer waren sie ebenfalls nicht, berichtet Julia, sie freute sich, dass sie ihre Mitstudierenden unterstützen konnte. Jedoch erinnert es nicht lediglich an diese Tat, darüber hinaus vertreten die Sticker die Verbindung zu ihrem Studium und ihren Mitstudierenden, sie sieht sich gerne als Teil davon.

Ich hatte Julia gefragt, weshalb sie sich ausgerechnet für diese Sticker entschieden hatte, bei einer solch grossen Auswahl. Sie meinte, es sei sehr willkürlich gewesen, sie fand die Beiden süss,

«und unsere Dozentin heisst Sybille, auch wenn die Giraffe nicht so passt».

Auch hier ist ersichtlich, dass Julia tendenziell wenig auf das Visuelle oder die Bedeutung nach Aussen der Sticker achtet. Sie verkörpern ihre Absichten und ihre Einstellung gegenüber ihrem Fachbereich, die Verbindung zu den Kolleginnen und nicht zuletzt ihre eigenen Werte. Alles andere ist für die Studentin zweitrangig, obwohl ich schon zugeben muss, dass ich mir die Dozentin irgendwie sympathisch vorstelle.

Support, Support und…

Über Akutes und Lieblingspflanzen

…nochmals Support.

Julia ist sich bewusst, wie intensiv Kreativschaffende an ihren Projekten arbeiten und möchte insbesondere ihre kreativen Kolleg:innen unterstützen. Dieser Sticker wurde von Julias Mitarbeiterin, Lorena Lucek, beim online Magazin «Akut», kreiert. Julia erzählt von einer weiteren Kollegin, mit welcher sie gemeinsam vorhatte, die Illustrationen der Mitarbeiterin zu unterstützen. Dieser Sticker gefällt Julia, er ist feministisch, selbstbewusst, vermittelt eine gute Message, damit kann sie sich identifizieren. Zusätzlich mag Julia Pflanzen auch sehr,

«Vielleicht nicht unbedingt diese», gibt mir meine Interviewpartnerin lachend zu verstehen.

Dieser Sticker vertritt Julias Arbeitsstelle beim online Magazin «Akut», sie möchte dafür werben, denn die Studentin ist stolz darauf. Sie mag ihr Team sehr, hat viel Freude an der Arbeit und fühlt sich zugehörig.

Das Magazin steht für Diversität und Akzeptanz, dabei setzten sich die Inhalte mit den Bereichen Kultur, Gesellschaft und Lifestyle auseinander. 

Zu viel Spiegelfolie

Spiegelfolie, daraus bestehen das von Julia selbst ausgeschnittene Herz und die beiden Streifen. Es gibt die Erinnerung an ein sehr tolles Modul wieder, welches mit unterschiedlichen Studiengängen durchgeführt wurde. Die Spiegelfolie nutzte Julia mit ihrer Gruppe für den Bau ihres Modells. Nicht allein das Modul war sehr lehrreich, zusätzlich konnte die Studentin neue Erfahrungen sammeln und neue Menschen aus ähnlichen Fachbereichen kennenlernen. Sie fühlte sich zu der Zeit sehr verbunden.

Lauter Folienreste blieben nach dem Modellbau übrig, so beklebte Julia damit nach Lust und Laune ihren Laptop. So viele, dass es dann auch zu viele waren, denn nach einiger Zeit klebte sie die meisten wieder ab, um Raum für neue Sticker zu schaffen.

Über leere Worte und fehlende Teile

Dieser Sticker ist wirklich sehr willkürlich gewählt, wohl der, mit dem sich Julia am wenigsten verbunden fühlt. Es handelte sich ursprünglich um einen Werbesticker der Marke „Track 13“, mit der „Akut“ zusammengearbeitet hatte. Die Firma ist darauf spezialisiert, nachhaltiges Merchandise zu produzieren.

Eine gute Sache findet die Design Management-Studentin das auf jeden Fall, doch fühlt sich der Sticker fremd für sie an. Denn ursprünglich stand noch der Markenname am unteren Stickerrand, welchen Julia ganz rebellisch abschnitt. „Es hätte sich zu sehr wie Werbung angefühlt“, klärt sie auf. Dennoch klebt der Sticker fest, denn die Aussage darauf sowie das Gleichgültige und Willkürliche an seiner Präsenz findet sie cool.

„Er ist einfach dort.“

Julia im Interview

Innere Dialoge und äussere Grenzen

Tolle Sticker, nicht wahr? Wir durften Julia und ihren Laptop etwas näher kennenlernen, auch interessant. Doch was nun? 

Entfernen wir uns von den einzelnen Stickern und betrachten wir die gemeinsamen Überbegriffe, die sich über den Laptopdeckel erstrecken.

Klar ist, dass der ästhetische Aspekt in Julias Fall keine grosse Rolle einnimmt, im Mittelpunkt stehen für Julia die Bereiche Sozialleben, Erinnerung, Ausbildung, Support, eigene (politische) Auseinandersetzung, Identität und Authentizität. In jedem der Sticker schwingen mal mehr, mal weniger die unterschiedlichen Themen mit, trotzdem bestehen stets Verknüpfungen. Der Laptopdeckel porträtiert auf eine eigene Weise die Besitzerin. Ohne es beabsichtigt zu haben, gibt er Einblick in ihre Werte und ihr inneres Geschehen. Er erzählt von Themen, die sie beschäftigen und zeigt nicht zuletzt, was die Besitzerin von sich preisgeben möchte.

Bedeutsam ist, dass trotz der Willkür der Sticker und der spontanen Komponente die Sticker im Zusammenspiel eine gemeinsame Geschichte erzählen. Man könnte die Aufkleber als unterschiedliche Handlungsstränge bezeichnen, welche die Leitgedanken der Geschichte vereinen, essenziell für die Bedeutung als Ganzes. 

Für eine von aussen betrachtende Person sind es zwar lediglich einzelne Sticker, doch wenn ihr Hintergrund und Julias Beziehung zu ihnen aufgedeckt werden, ist ersichtlich, dass die Bedeutung der Sticker auf dem Laptop nicht in den einzelnen zu finden ist, sondern in ihrer Gesamtheit. Julia beschreibt, dass die Sticker spontan ihren Weg auf den Laptop gefunden haben und Zufall eine grosse Rolle spielt. Umso interessanter ist daher, dass doch ein ziemlich homogenes Bedeutungsbild entstanden ist. Bei diesem Laptopdeckel nimmt Julias innerer Dialog die tragende Rolle ein, dennoch ist dabei der Faktor der Öffentlichkeit prägend. Denn ein homogenes Bild besitzt ohne Zweifel klare Grenzen. Der öffentliche Aspekt eines Laptops bestimmt mit, wo die Besitzerin die Grenzen setzt und besonders wie sie mit dem Blick der Öffentlichkeit umgeht. Die Komponente der Willkür mag ungenau scheinen, trifft gleichwohl ins Schwarze. 

Wie diese Ausstellung ausführt, kann ein Laptopdeckel vieles sein, er kann ein Selbstgespräch sein, nach Innen gewandt, welches Niemand sonst hört, er kann nach Aussen rufen, schreien, fordern, lachen oder Poesie sein, Kunst vermitteln. Was auch immer er sein mag, ist er eines ganz bestimmt, von seinem oder seiner Besitzer:in, dessen oder deren Kontext und der Konfrontation mit der Öffentlichkeit geschaffen. Ein Laptop ist ein Zeitzeuge der Gegenwart, erzählt Geschichten des Vergangenen zugleich und malt Bilder von dem, was in unseren Köpfen schwirrt. 

Liebe:r Leser:in, so erzählt nicht nur das Bild selbst, welches hier an der Wand hängt und das Interview dazu die Geschichte. Denn Bedeutung, Form und Farbe wandeln sich jedes Mal erneut, wenn Jemand anderes davorsteht.

Nun bist es du.