„Für mich war es self-expression. Die Sticker sagen aus, wer ich bin und was ich gern habe. Es ist ein conversation-starter, vor allem weil man so viele Leute trifft in der Uni. Dann ist es meistens gut, wenn mein PC schon klar macht, was meine Interessen sind und worüber man mit mir am besten reden kann.“

Interview mit Jenny* vom 27. März 2023

Über Jenny*

Jenny* (26) studiert Geschichte (Hauptfach) und Populäre Kulturen (Nebenfach) an der Universität Zürich. Sie* identifiziert sich als non-binary, genderfluid und ist bisexuell. Jenny* ist sehr an Geschichte und Mythologie interessiert, mag Katzen und beschäftigt sich gerne mit Animes, Fanfiction und Comics. Jenny* mag es, auf Conventions („Cons“) zu gehen und ist laut eigener Aussage Teil der „Geek-Culture“. Ausserdem ist sie* Mitglied in einem Chor. Ihre* Sticker hat sie* hauptsächlich von RedBubble, worauf sie* durch bestimmte YouTuber aufmerksam gemacht wurde; einige Aufkleber zitieren z.T. deren Videos. Die anderen Sticker hat sie* im Detailhandel oder auf Conventions gekauft.

„Ich bin eine grosse Katzenperson.“

Jenny* zu ihren* Katzenstickern

Der Laptopdeckel

Hauptthemen


Die Sticker

Selbstdarstellung & Zugehörigkeit

„Bevor ich mit der Uni angefangen habe, hatte ich mich entschieden, dass ich es noch cool fände, wenn ich meinem Laptop ein wenig einen persönlichen Touch geben könnte, sodass ich weiss, welcher dass meiner ist.“

Jenny* über ihre* Sticker als Identitätsmarker

Wie im Eingangszitat erwähnt, ist es Jenny* wichtig, dass ihr* Laptopdeckel etwas Persönliches über sie* aussagt.

Die Sticker „Monologuing is not a victimless crime“ wählte Jenny*, da sie* sich mitteilen möchte: Der Sticker spielt auf das Monologuing (v.a. villain-monologuing) in der Literatur an, womit Jenny* sich identifizieren kann. „Hang on. Let me overthink this.“ impliziert, dass Jenny* eine Person ist, die gerne alles überdenkt. Erneut widerspiegelt sich in diesen Stickern ihre* Selbstdarstellung. Es lässt sich als Betrachter*in erschliessen, dass diese beiden Sticker Jenny* und ihre* Interessen kurz und bündig in jeweils einem Satz zusammenfassen.

Der Sticker „We proudly ship Achilles + Patroclus“ interpretiert sie* als Witz darüber, wie Historiker*innen mit gleichgeschlechtlichen Beziehungen umgehen. Damit teilt sie* gleich drei Informationen über sich mit: Sie* ist queer, studiert Geschichte und ist an Mythologie interessiert; ausserdem sei der Ausdruck „ship“ (dt. in etwa „in ihrer Liebe unterstützend“) Teil der Fankultur. Jenny* findet den Sticker eine interessante und lustige Anspielung auf den wissenschaftlichen Umgang mit non-Heteronormativität in der Geschichtswissenschaft. Ähnlich verhält es sich mit dem Sticker „I’m MAGIC: Ishtar loves me and the Queen of Hell thinks I’m HOT“. Hier versteckt sich eine Anspielung auf einen babylonischen Mythos. Der Satz ist ein Zitat aus einem Stream eines YouTubers, dessen Geschichts- und Mythenvideos sie* gerne in ihrer* Freizeit schaut; sie* ist demnach Teil dessen Community. Weiterhin teilt auch das Design (non-binary flag) dieses Stickers ihre* Identifikation und Zugehörigkeit zur LGBTQ+ Community mit. Dazu gehört auch der Teebeutel, der durch die Farben ihre* Bisexualität mitteilt und den sie* zusammen mit einem passenden Schlüsselanhänger auf einer Con gekauft hat. Hier zeigt sich, wie sehr Jenny* ihren* Alltag mit Identifikationsmarkern gestaltet – auch ausserhalb der Sphäre des Laptops.

Diese Sticker zeigen, dass Jenny* durch ihren* Laptop mitteilen möchte, wer sie* ist, welcher Community sie* zugehörig ist und welche Themen sie* interessieren.

„Ich habe meine eigenen Identifikationsmarker mit der non-binary und der bisexual flag.“

Jenny* über ihre* queeren Sticker

Verhandeln von Hobbies & Interessen

Jenny* zeigt, dass sie* sehr an Mythologie interessiert ist. Der Sticker „For the fairest“ bezieht sich auf den trojanischen Krieg und den Mythos des „Zankapfels“, welche beide Teil der Ilias sind. Jenny* erwähnt, dass sie* ein grosser Fan von Homers Epen der Odyssee und der Ilias ist, was sich auch im Sticker „I’m just a slut for the classics“ zeigt. „Classics“ verbindet sie* einerseits mit ihrem* Interesse an Mythologie und andererseits mit ihrem* Geschichtsstudium. Hierzu erwähnt sie*, dass ihre* geschichtsbezogenen Sticker im Historischen Seminar der UZH gut ankommen und gleich vermitteln, was sie* mag (z.B. die Altertumsforschung).

Die beiden Sticker der Animationsserie „Avatar – Der Herr der Elemente“ (rechts oben) hat sie* zusammen mit ihrem* Freund gekauft. Während sie* den Luft- und Wassersticker besitzt, hat ihr* Freund Feuer und Erde bekommen. Anhand dieser Sticker zeigt sich, dass sie* Fan der Serie ist. Ausserdem liest man mit dem Wissen über den persönlichen Hintergrund des Stickers eine übergreifende, meta-persönliche Beziehung heraus. Ähnlich verhält es sich mit dem TSU-Sticker, der ihre* Mitgliedschaft im Chor „Ten Sing Uetikon“ anzeigt. Diesen hat sie* von Freund*innen aus dem Chor geschenkt bekommen.

Die Aussage „Bo[d]y in abyss, heart in paradise“ (das [d] wollte sie* schon lange mal ersetzen) ist ein Zitat aus der chinesischen Webnovel „Heaven Official’s Blessing“. Jenny* hat sich den Satz selbst zusammengestellt. Ebenfalls Teil der Webnovel sind die Dumplings und der Ring mit der Schnur; gekauft hat sie* diese auf der „Fantasy Basel“ (eine Convention zum Thema in Basel). Jenny* kommuniziert somit Interesse und Zugehörigkeit zum Fandom. Es ist evident, dass sie* sich hier eine Auswahl von Insidern zusammengestellt hat, die nur Personen verstehen können, die auch Teil des Fandoms sind. Dementsprechend lädt der Laptop Interessierte und Kenner*innen der Fangemeinschaft zum Gespräch ein.

„Ich möchte meine Fandoms kommunizieren.“

Jenny* über ihre* Hobbies & Interessen

Interessant bei den Con-Stickern ist, dass Jenny* die Aufkleber direkt bei der Auslebung ihres* Hobbys gekauft hat und sich das Interesse an Conventions gleich doppelt in den Stickern materialisiert.


Ästhetik

Aus dem Interview mit Jenny* wurde schon zu Beginn klar, dass sie* sich einiges bei der Gestaltung überlegt hat. Jenny* erwähnt, dass sie* die Aufkleber akribisch zusammenstellte und so lange neu anordnete, bis alles gepasst hat. Sie* erwähnt, dass sie* von Anfang an ein Konzept und Bild im Kopf hatte und sich im Detail überlegt hat, welche Kleber wohin passen. Sie* hat dabei u.a. auf die Grösse der Sticker geachtet und sie tendenziell ihrer Form nach aufgeklebt (z.B. grosse eckige in die Ecken). Ausserdem ist interessant, dass Jenny* erwähnt, dass sie* die kleineren Sticker nicht nur schön findet, sondern auch als Filler benutzen konnte, um kahle Stellen abzudecken. Hier erkennt man einen doppelten ästhetischen Nutzen der Sticker.

Wichtig war Jenny* bei der Gestaltung auch, dass alles gut zusammenpasst und sich nichts überlappt. Leider, so erzählt sie*, musste sie* den Zankapfel mit dem Schweinchen überschneiden, doch mittlerweile hat sie* sich daran gewöhnt und findet es schön.

V.a. die kleineren Sticker wie die Rosen, Kätzchen und Edelsteine hat sich Jenny* hauptsächlich aus ästhetischen Gründen gekauft. Sie* findet sie süss und meint, dass sie eine schöne Verzierung abgeben. Der Rosensticker hat zudem den Hintergrund, dass dies Jennys* Lieblingsblumen sind und in einem veralteten, historischen Stil gestaltet sind. Hier zeigt sich, wie übergreifend die Thematiken und Hintergründe der Aufkleber sind: In vielen Stickern manifestieren sich mehrere der Themen, die Jenny* erwähnt, gleichzeitig.

„Ich habe fein säuberlich geplant, wo die grössten hin kommen und habe die übrig gebliebenen Lücken noch gefüllt. Die meisten Sticker waren ausgeplant; gewisse Sticker passten an bestimmte Stellen besser hin.“

Jennys* ästhetische Hintergedanken

Besonders interessant war Jennys* Entscheidung, das HP-Logo nicht zu überkleben. Während viele Personen die Marke ihres* Laptops bestickern, hat sie Jenny* bewusst frei gelassen. Sie* findet, dass beim Überkleben die Struktur des Logos durchscheinen würde, was Jenny* nicht ästhetisch findet. Sie* findet das Logo zwar nicht per se schön, jedoch gefällt ihr*, dass es zusätzlich eine schimmernde Stelle in der Mitte des Laptops hergibt. Es scheint fast so, als sei das HP-Logo ein Sticker für sich.


Kommunikationsmittel

Den sozialen Aspekt der Laptopsticker erwähnt Jenny* auch oft. Der Laptop dient ihr* u.a. auch als Mittel zur Kommunikation; als „conversation-starter“, wie sie* dies nennt. Mithilfe der Sticker kann sie* mitteilen, wer sie* ist und somit auch die Aufmerksamkeit derjenigen Personen erregen, die sich mit dem Inhalt ihrer* Laptopsticker identifizieren können. Der Laptop regt zum Austausch aus; die Sticker machen allfällige gemeinsame Interessen deutlich. Der Aspekt der Insider ist hier von zentraler Bedeutung: Wer sich mit den Stickern auskennt, kann sich darüber unterhalten und mit der anderen Person auf Anhieb eine Bindung eingehen: Dies ist ideal, um neue Freundschaften zu knüpfen.

Nicht nur Menschen, die sich mit dem Inhalt der Sticker auskennen, werden angesprochen. Dass gewisse Sticker so spezifisch („niche“) sind, kann auch Aussenstehende dazu aufrufen, nachzufragen, was diese Sticker für eine Bedeutung haben, wo man diese kaufen kann, oder es wird ganz einfach ihre Ästhetik kommentiert.

„Ich sehe es wirklich mehrheitlich als Kommunikationsmedium, um etwas über mich auszusagen. Es sagt genug über meine Interessen aus, damit man irgendwo einen conversation-starter hat, wenn man sich ein wenig für ähnliches Zeug interessiert.“

Jenny* über ihren* Laptop als Kommunikationsmittel

Jennys* Persönlichkeit manifestiert sich im Stickern, und der Laptop dient als Objekt zur Vermittlung ihrer* Werte und Interessen nach aussen. Man merkt ausserdem, dass Jenny* auf ihrem* Laptopdeckel auch ihren* Sinn für Humor verewigt hat. Durch den humoristischen Faktor lädt der Laptop auch zu sozialen Aktivitäten wie dem gemeinsamen Lachen ein. Im Sticker „Aaaaa, my hubris!“ vermittelt Jenny* mit Augenzwinkern, dass, wer zu hoch fliegt, umso tiefer fällt. Hier verewigt sie* erneut eine Gestalt der Griechischen Mythologie (Ikarus) und bringt auf humoristische Weise persönliche Interessen mit ein, die auch Aussenstehende ansprechen können.

„Es ist halt einfach lustig.“

Interview mit Jenny* vom 27. März 2023

Reflexion

Jennys* Sticker zeigen, wer sie* ist. Sie* materialisiert durch das Aufkleben der Sticker v.a. sich selbst sowie ihre* Hobbys und Interessen. Dies passiert oft durch das Stickern von Insidern und Sprüchen, die aussagen, dass sie* Teil gewisser Fandoms, Zugehörigkeiten oder einer bestimmten YouTube Community ist. Den Laptop nutzt sie* als Kommunikationsmedium, v.a. um Gespräche (mit Gleichgesinnten) zu initiieren. Die Sticker geben dem Laptop eine persönliche Note und spiegeln Jennys* Identität, Humor, Interessen und ästhetisches Empfinden gut wider. Dies zeigt, wie viel Individualität im Stickern steckt: Das unpersönliche Alltagsobjekt Laptop wird durch das Stickern zum persönlichen Individualgut.