Über Ani
Ani (28) ist eine Masterstudentin der Filmwissenschaften an der Universität Wien. In ihrem Leben spielt die Ästhetik eine grosse Rolle und sie legt grossen Wert auf ästhetische Erscheinungen um sie herum, egal ob in ihrer Wohnung, auf ihrer Kleidung, oder auf ihrem Laptop. Momentan schreibt sie ihre Masterarbeit zu der entkörperlichten weiblichen Voice-Over-Stimme und arbeitet dabei in einem queer-feministischen Start-Up in Wien. Dadurch, und auch durch ihr Studium, ist Ani mitten im queer-feministischen Diskurs und sieht ihren Interessensschwerpunkt vor allem in der Identitätspolitik. In ihrer Freizeit singt sie gerne Jazz, oder probiert sich durch andere Formen der kreativen Kunsttätigkeiten aus, besonders diejenigen, welche sich mit ästhetischen Fragen beschäftigen.
Der Laptopdeckel
Bei Anis Laptop handelt es sich um ein Apple Mac Book, auf welchem sie drei Sticker aufgeklebt hat. Mit seinen 15 Zoll Durchmesser bietet er viel Platz für eine Sticker-Leinwand, während der silber-graue Hintergrund einen neutralen Unterton liefert. Ihre gewählten Sticker sind sehr minimalistisch gehalten, und der ursprüngliche Hintergrund des Laptopdeckels nimmt trotz Stickern die Mehrheit des Deckels ein. Die drei Sticker sind alle ähnlich in ihrem minimalistisch-stilistischen Konzept, welcher auf den ersten Blick ansprechend, aber inhaltlich undifferenziert erscheint. Der erste Sticker zeigt einen Pfirsich mit Strauchblättern und den Schriftzug „not your sweetie“, während der zweite Sticker auf schlichtem, weissem Hintergrund fragt: „Was sagt dir dein Bauchgefühl?“, und der dritte Sticker die Aufschrift „*innen“ zeigt. In der Mitte der Komposition ist das klassische weisse Apple-Symbol des Laptopherstellers zu sehen. Bei ihrem Laptopdeckel stellt sich also bereits beim ersten Blick die Frage, wieso er so minimalistisch zugestickert ist und welche Nachricht er damit übermitteln will. Handelt es sich um eine bewusste Abgrenzung zu anderen bestickerten Laptops? Ist es eine rein ästhetische Entscheidung? Oder ist der Prozess des Stickerns einfach noch im Gange, und damit schlicht noch nicht „abgeschlossen“?
Die Sticker
Der Sticker zeigt eine Pflaume und die Überschrift „not your sweetie“. Damit sendet es eine implizierte feministische Aussage aber eine explizite, ästhische Nachricht. Denn nicht jede betrachtende Person versteht gleich, dass sich dieser Schriftzug auf weiblich gelesene Personen bezieht. Der Sticker weist also darauf hin, dass Ani nicht jedermanns „sweetie“ ist, auch wenn sie sympathisch erscheint. Frauen sind nicht automatisch als süss klassifizierbar, da es ihnen jegliche eigenständige Charakterisierung abspricht, ebenso wie ihre Expertisen, Meinungen, oder Ansichten. Der Pfirsich, so süss er auch im Inneren sein mag, hat dennoch die Macht, eben auch bitter zu sein, wenn nötig.
Der „not your sweetie“- Sticker ist aber nicht nur inhaltlich, sondern auch visuell interessanter, als er zunächst erscheinen mag. Der Silberne Hintergrund passt nämlich nicht nur farblich zum silber-grauen Laptopdeckel, sondern es handelt sich um einen reflektierenden Sticker und spielt deshalb mit der Materialität seiner Umgebung. Die Umwelt um den Laptop herum wird also in den Laptopdeckel aufgenommen, und umgewandelt. Jedes einstrahlende Licht ändert das Erscheinungsbild des Stickers, welches er reflektiert und mit welchem er reagiert. Mal bleibt er silbern und unscheinbar, mal ist er orange-rosa, und manchmal spielt er verrückt und das Licht wird komplett gebrochen, die betrachtende Person kann nun einen runden Regenbogen sehen. Der Laptopdeckel ist also – aufgrund dieses einen Stickers – ständig in Bewegung, ständig im Wandel, und damit fluide.
Der zweite Sticker stammt von einem Kartenspiel, das Ani ihrer Tante geschenkt hatte. Bei diesem Spiel werden einander Fragen gestellt, welche beabsichtigen, sich selbst und die Mitspieler:innen besser kennen zu lernen. Der Sticker auf Anis Laptop kam mit der Spielanleitung hinzu, es handelt sich also eigentlich nicht um einen klebenden Sticker, sondern ein Stück Papier, das zweckentfremded und in einen Sticker umgewandelt wurde. Tatsächlich war er ursprünglich grösser und wies noch andere Abbildungen auf. Diese waren laut Ani aber zu massiv und platzeinnehmend für ihre ästhetischen Ansprüche. Sie hat deshalb den Sticker selbstständig zugeschnitten, damit er in ihre minimalistisch-ästhethische Laptop-Komposition passt. Inhaltlich steht der Sticker aber auch für etwas, auch wenn es erneut nicht ganz offensichtlich ist: Ani will sich selbst damit erinnern, ihrer Intuition zu vertrauen, und stellt damit eine spirituelle Nachricht für die betrachtende Person auf.
Der dritte und damit letzte Sticker des Laptopdeckels scheint der Expliziteste in seinem Inhalt zu sein, da er mit der Aufschrift „*innen“ zum sprachgerechten Gendern aufruft. Tatsächlich ist der ursprüngliche Gedanke dieser „*innen“-Sticker, sie über Begriffe, die das generische Maskulinum benutzen, zu kleben. Jedoch hat sich der „*innen“-Sticker in seiner Benützung anders entwickelt, und wird oftmals eigenständig auf alle möglichen Flächen geklebt. Damit wird er nicht nur als ein Ausbessern eines genderungerecht verwendeten Begriffs, sondern aktiv für ein Symbol einer gendergerechten Sprache verwendet. Ani mag eben diese Aussage auch. Da sie sich in ihrer Freizeit sowie in ihrem Beruf stark mit Queer-Feminismus auseinandersetzt, liegt ihr das Gendern sehr nah am Herzen. Und eben diese feministisch-aktivitische Ader will sie auch auf ihrem Laptopdeckel ausdrücken. Ani ist aber eben auch die ästhetische Ebene sehr wichtig. Sie würde keinen „*innen“-Sticker aufkleben, der nicht in ihre Gesamtposition passt. Tatsächlich hat sie sich eher länger als kürzer umsehen müssen, bis sie einen ansprechenden Gender-Sticker gefunden hat, da sie oft nicht so simpel gestaltet sind, sondern oft mit fetter Schrift oder grosser Schrift daherkommen. Dieser Sticker ist also nicht nur minimalistisch gestaltet und deshalb ansprechend für Ani, sondern er passt auch farblich zum silber-grauen Hintergrund des Laptops, zum weissen Apple-Logo in der Mitte des Deckels, wie auch zum Sticker „Was sagt dir dein Bauchgefühl?“. Interessant ist aber, dass der „*innen“ Sticker der einzige ist, der eine offensichtlich-politische Aussage vermittelt, wodurch der Fokus auf seinem Inhalt liegt. Auch wenn der Aspekt der Ästhetik auch vorliegt, so steht er bei diesem Sticker nicht im Vordergrund.
Ein weiterer Bestandteil des Laptopdeckels ist das Apple-Logo, welches zwar als Standard in jeden Apple-Laptop integriert ist, jedoch auf Anis Laptop-Komposition absichtlich unabgedeckt geblieben ist. Im Gegenteil sind ihre aufgeklebten Sticker alle um das Apfel-Symbol zentriert, wodurch dieses stark in den Fokus rückt. Der Apfel steht also im Mittelpunkt, wodurch eben gerade keine Konsumkritik erweckt wird, was in Widerspruch zu den politischen Anspielungen der anderen Sticker stehen mag. Ani hat dies damit begründet, dass jeder Mensch den Laptop als Apple-Produkt identifizieren könne, unabhängig davon, ob das Symbol nun abgeklebt ist oder nicht. Die Mac Books haben nämlich aufgrund von ihrem einzigartigen Design einen unverwechselbaren Erkennwert. Demnach ist das Abdecken des Apfels ihrer Meinung nach nicht produktiv, während es aber die Ästhetik des Laptopdeckels aus dem Gleichgewicht bringen würde. Den Grund dafür sieht Ani in der Anordnung: Der Apfel ist genau in der Mitte des Laptopdeckels, wodurch sich alle Sticker, die aufgeklebt werden könnten, automatisch um diesen Mittelpunkt zentrieren würden. Wenn man ihn nun abdeckt, zerstöre man diese Balance und die gewünschte Ästhetik wäre nicht mehr vorhanden. Ani sieht also die Konsumkritik im Abdecken des Laptops und steht gleichermassen hinter dieser Kritik, jedoch ist ihr die Ästhetik des Laptopdeckels wichtiger als das Abkleben des Apfels.
„Mein Laptop ist ein Tool dafür, meine Ästhetik auszuprobieren, mit ihr zu spielen – ich kann jeden Sticker zu jeder Zeit wieder abnehmen und ich kann jegliche Sticker aufkleben – es ist ein total beweglicher Prozess“
ani im interview
Mit dem bewussten Entscheid, grosse Flächen des Laptopdeckels leer zu lassen, bestätigt Ani weiter die Annahme, dass für sie die Ästhetik wichtiger ist, als eine laute, aufmerksamkeitserregende, inhaltliche Aussage. Denn eine inhaltliche Bedeutung muss lediglich für sie selbst zugänglich sein – was andere sehen (oder eben nicht sehen), wenn sie ihren Laptop betrachten, ist für sie irrelevant. Projiziert sie nun also ihre Identität auf ihren Laptopdeckel, und drückt sie ihre Identität und Erscheinungsbild somit nach aussen aus, oder macht sie das Gegenteil, indem sie jeweils das aufklebt, was (fast) nur sie verstehen kann? Ist das grossflächlige Leerlassen des Laptops einfach ein Produkt des Umstandes von zu wenig ästhetisch ansprechenden Stickern, oder wird der Laptopdeckel damit selbst vermateralisiert? Die Sticker sind laut Ani alle auch farblich passend zum Laptopdeckel – dass dieser also komplett verstickert und verdeckt wird, war nie geplant. Vielmehr wurde die Komposition der Integration des silbernen Deckels geplant, und der Deckel gehört somit in den künstlerischen Ausdruck des Gesamtproduktes dazu. Ani hat also einen kapitalistischen, materiellen Gegenstand nicht komplett überklebt und somit symbolisch „vernichtet“ – vielmehr hat sie ihn umgewandelt und ihm ein neues Gewand verliehen, welches auf optisch ansprechende und implizit-politische Inhalte andeutet.
Abschliessend – Wie oberflächlich kann Kunst bleiben?
Der Laptopdeckel von Ani ist bewusst ganz simpel gestaltet. Jeder Sticker wurde sorgfältig ausgesucht, zugeschnitten, platziert, und erst nach mehreren Wochen oder Monaten Überlegung schliesslich aufgeklebt. Der Prozess ist ähnlich zu dem des Tattoo-Stechens, obwohl Ani selbst betont, dass die Sticker nicht auf dem Laptop verewigt sind. Man könne sie ja auch wieder abkleben; was sie auch schon gemacht habe. Der Fokus auf das optische Erscheinungsbild des Laptops kann zum einen als den eigenen Anspruch auf Schönheit gelesen werden, zum anderen aber auch als Ausdruck ihrer Individualität innerhalb der Gruppe von stickernden Personen. Denn gerade weil ihr Laptop so anders gestaltet ist als die meisten, betont er eine „Ausnahme“: Es gibt wenig bestickerte Laptops, die dann aber nur drei Sticker aufweisen. Er sendet also ein Signal, aber welches? Laut Ani ist es eine persönliche Art, sich selbst mithilfe der Kunst auszudrücken. Aber könnte es sich auch um etwas Performatives handeln?
Über die Autorin
Ich kenne Ani nun bereits mein gesamtes Leben lang, bin mit ihr aufgewachsen, habe sie oft als Vorbild oder Inspiration gesehen und kenne sie deshalb sehr gut. Ihren Laptopdeckel habe ich spannend gefunden, weil er – anders als viele andere – eben nicht komplett vollgestickert ist, sondern nur vereinzelte und simplistische Sticker zeigt. Sticker, die man sonst selten sieht, oder Sticker, die eigentlich gar keine Sticker sind, sondern ausgeschnittene Motive. Ich weiss aus persönlicher Erfahrung, dass Ani der Ästhetik in ihrem Leben einen hohen Wert zuspricht, und habe mich deshalb für genau dieses Thema bei ihrem Laptop interessiert. Die Analyse ergibt sich deshalb hauptsächlich aus zwei qualitativen Interviews, welche mit ihr geführt wurden, wie auch aus einer persönlichen Einschätzung und dem Hintergrundwissen über ihr Wesen.
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