Über Kai

Die Laptopsticker zeigen, dass sich Kai für politische Themen interessiert. Menschenrechte, Rassismus und Sexismus sind nur einige Aspekte, mit welchen sich Kai die letzten Jahre zunehmend auseinandersetzte. Das sozialpädagogische Studium, das er seit bald zwei Jahren besucht, hat neue Interessen, neue Freundeskreise und eine vertiefte Auseinandersetzung mit eben solchen Themen mit sich gebracht. Heute ist Kai 29 Jahre alt und glücklich, sich für dieses Studium entschieden zu haben, unter anderem weil er sein verstärktes Interesse an gesellschaftspolitischen Themen und die dazugehörigen Auseinandersetzungen und Gespräche schätzt.

So spiegeln die Sticker auf Kais Laptop zu einem grossen Teil seine gesellschaftspolitischen Interessen wieder und haben aufgrund seines sozialen Studiums eine links-politische Tendenz, wie im Folgenden gezeigt wird.

„Sticker sind Mini-Plakat – uf chlinster Flächi isch mega, mega viel zemmegfasst“

Kai im interview

Die Sticker

Politische, Aktivistische

Jener Sticker in der Mitte ist für Kai „mit Abstand de besti Kleber uf dem Laptop“. Niemand ist als Rassist geboren – wenn, dann ist man in eine Gesellschaft hineingeboren worden, die einem zu einem Rassisten macht, führt Kai aus. Dadurch sei es, wie der linke Sticker vermittelt, wichtig, gemeinsam gegen Rassismus einzustehen. Der rechte Sticker ist die Konklusion der beiden vorausgehenden Stickern. Für Kai ist es wichtig, gegen rassistisches Gedankengut vorzugehen, da „s wahrschienlich sgschiedste isch wos git, was mer degege mache cha“.

Diese drei Sticker gehören auf ihrer Bedeutungsebene und aufgrund ihrer Herkunft zusammen. Kai erhielt sie bei der Arbeit an einem Anti-Rassismus Seminar. Im sozialen Arbeitsfeld, wie auch im Studium, ist das soziale Umfeld ein wichtiges Thema. Der mittlere Sticker bezieht sich auf den Einfluss, den Familie, Freund*innen, Schule, etc., auf jemanden haben kann. Die drei Sticker gemeinsam betrachtet fordern implizit auch dazu auf, rassistische Personen wieder von einer anderen Meinung zu überzeugen und Rassismus nicht als gegeben zu verstehen. Sie sind eine Handlungsaufforderung an jede sie lesende Person.

Auch wenn dieser Sticker „viellicht echli viel Kraftusdruck“ beinhaltet, findet es Kai überhaupt nicht negativ, gegen Faschismus, Rassismus, Sexismus und Homophobie zu sein und „dorum dörf au gern mol es Fuck vor de SVP stoh“.
In anderen Kontexten würde Kai den Begriff „Fuck“ nicht verwenden und auch nicht auf seinen Laptop kleben. Da er mit diesem Sticker seine Grundwerte, gegen Faschismus, Rassismus Sexismus und Homophobie einzustehen, repräsentiert sieht, und er die SVP als unvereinbar mit diesen Werten betrachtet, war es für ihn trotz dem „FCK“ (oder vielleicht deswegen umso mehr) angebracht, diesem Sticker einen Platz auf seinem Laptop zu geben.

Die SVP ist insbesondere in linken Kreisen ein beliebtes Stickermotiv. Durch ihre Abstimmungsparolen, öffentliche Äusserungen und Abstimmungswerbung erscheint die Partei auf der rechten Seite des politischen Spektrums und sorgte auch schon in Mitteparteien für Unverständnis.

Für Kai ist dies ein eher utopischer Sticker. „Denn Grenze sind mol zoge worde“. Aber er findet den Gedanken dahinter sehr schön. „Denn ohni die Problematik vonere Grenze – gebs viellicht au einigi wenigeri Konflikt“. Man sollte weniger in Nationen denken und die Menschen mehr als eine Menschheit betrachten.

„No Border no Nation“ ist als Slogan des Öfteren in der gesellschaftlichen Debatte anzutreffen. Nationen und damit einhergehende Grenzen werden als künstlich und nicht natürlich aufgefasst. Als etwas von Menschen bestimmtes, das zu viel Macht und Bedeutung in sich trägt. Dieser Sticker repräsentiert diese Ansicht zum einen durch das bedruckte T-Shirt, wie auch durch die Bildsprache. Zu sehen ist ein anthropomorphisierte Zange, die den im Hintergrund sichtbaren Stacheldraht durchtrennen könnte. Die Zange fungiert als Sinnbild für die Zerstörung von Grenzen.

„Kein Mensch ist illegal. Das erklärt sich höchst wohrschindlich von allei“

Mehr sagt Kai nicht zu diesem Sticker. Zuvor über den Sticker oben gesprochen, ist aber auch ziemlich klar, worauf dieser Sticker hinauswill. Es geht um Anerkennung von Migrant*innen und Flüchtenden und der damit einhergehenden Frage, ob das Recht auf Aufenthalt in einem sicheren Land beschränkt werden soll oder darf. Auch dieser Slogan ist immer wieder anzutreffen; auf Plakaten, an Demos oder eben auf Stickern.

Dieser Sticker ist für Kai „grundsätzlich korrekt und wichtig“ und hat deswegen seinen Weg auf den Laptopdeckel gefunden.

Pass auf deine Tochter auf ERZIEH DEINEN SOHN!!!“ ist ein Sticker, welcher sich mit Gewalt gegen Frauen* auseinandersetzt. Im Vordergrund steht die Aufforderung, den Sohn zu erziehen, während „Pass auf deine Tochter auf“ auf Grund der Durchstreichung als unzutreffend erscheint und als nicht (mehr) legitime Aufforderung weniger leserlich erscheint. Nebst dieser Aufforderung sagt der Sticker weiter aus, dass es nicht an den Frauen* liegt, wenn sie Gewalt erfahren. Die nicht oder schlecht erzogenen Söhne, respektive Männer, sind ursächlich für sexualisierte Gewalterfahrungen von Frauen* verantwortlich. Der Sticker reiht sich in die Entwicklungen und gesellschaftlichen Debatten der letzten Jahre ein.

Das Schaf, respektive die darin integrierte Fahne, steht für Vieles. Heute steht es vielfach für die Pride-Bewegung, aber auch für Frieden und „ganz viel anders Positives“. Die Bedeutung, die dem Schaf innewohnt, und auch das Schaf selbst gefallen Kai.

Interessant finde ich die Platzierung des Schafes in der rechten oberen Ecke des Laptopdeckels. Es scheint, als würde es auf die anderen Sticker schauen und fast ein bisschen über sie wachen.

„Eifach en wunderbare Sticker – zeme mit enere Kindheitserinnerig“. Zusätzlich sieht das Hochhaus im Hintergrund aus wie seine Fachhochschule. Aber auch der Titel „Freiräume verteidigen“ war für Kai ein Grund, den Sticker aufzukleben. Die Bebauungen der noch verfügbaren Flächen stören ihn. „Es wird immer enger, immer strukturierter – fortschrittlicher i Ahfüehrigs- und Schlusszeiche“.

Dieser Sticker vereint für Kai vieles auf einmal: ein Erinnerungsstück an die Kindheit durch Calvin und Hobbes, ein Verweis auf seine Schule und eine Statement gegen die Stadtplanung.

Kai hat den Sticker aus dem Rümpeltum, ein linke Bar/Veranstaltungsraum, in der Stadt St. Gallen. Deshalb scheint es naheliegend, dass im Hintergrund die Fachhochschule abgebildet ist und der Sticker sich auf Lokales bezieht. Das andere Gebäude sieht des Weiteren dem Rümpeltum selbst nicht unähnlich. In den linken Kreisen in St. Gallen sind Bebauungen immer wieder Thema und auch aktuell, da eine grosse OLMA Halle im Bau ist und die HSG mehrere Neubauten in der Stadt in Planung hat. Unter anderem musste das Rümpeltum vor ein paar Jahren einem Neubau weichen.

No Love for this System. Kai findet diesen Sticker tendenziell auch ein extremes Statement, aber er sagt auch, dass unser System, zumindest zu einem gewissen Teil, auch nicht allzu viel Lob verdient hat.

Auch dieser Sticker wurde im Rümpeltum gefunden und knüpft sich mit Micky Mouse und Pluto an die Kindheitserinnerungen der ein oder anderen Person an. Die beiden schauen aus einem Gebäude auf eine zerstörte Stadt, in der ausschliesslich Hochhäuser sichtbar sind. Die dystopische Stimmung wird durch die Flaschen, die (zumindest mich) an Weinflaschen erinnern, unterstützt. Die Zeichnung deutet darauf hin, wie „dieses System“ unsere Umgebung und auch (wenn wir ein bisschen tiefer in die Interpretation eintauchen) unsere Kindheit und uns zerstört.
Zusätzlich wird durch Micky Mouses Pullover auf eine Anti-Faschistische Haltung verweist. Das Symbol auf Plutos Oberteil ist mir leider nicht bekannt.


Erinnerung

Diese „unnötigen“ Sticker, wie Kai sagt, hat er aus seinen Ferien in Berlin mitgenommen. Alle drei Sticker lagen in Läden auf. Zu dem mittleren und dem rechten Sticker sagt Kai nichts weiter. Der linke Sticker sei ein stilisiertes Kunstwerk, aber er wisse es auch nicht genauer. Er habe sie aufgeklebt, weil es ihn an die Ferien in Berlin erinnert.

Die drei Sticker fungieren als Erinnerungsstücke an eine schöne Zeit. Als nachgefragt wurde, was denn unnötige Sticker seien, meint Kai: „unnötig weils nüt mit enre Ussag ztue het und nur mir öppis Bedütet“. Sie unterscheiden sich zu den Vorangegangenen, weil damit für Kai nichts ausgesagt wird.
Auf mich wirken sie dadurch aber persönlicher, in dem Sinne, dass sie einzig als Erinnerungsstücke auf dem Laptop sind und im Gegensatz zu den anderen Stickern beim Aufkleben nicht impliziert wurde, dass jemand diese Sticker anschaut.


Unterstützung

Dies ist das Logo der Band „Frank“. Kai kennt einige der Personen, welche Teil der Band sind und mag ihre Musik. Den Sticker nahm er an einem Abend mit, als die Band bei einem Sosa Event spielte. So ist auch dieser für Kai ein Erinnerungsstück an eine gute Zeit.

In diesem Sticker findet sich dementsprechend wieder das Motiv der Erinnerung, aber auch das der Unterstützung.


Persönlicher Bezug

Dies ist das Logo der Studierendenorganisation der FHS St. Gallen (heute: OST). Der Sticker klebt auf Kais Laptop, weil er selbst in der sogenannten Sosa tätig ist und diese ein Bestandteil seines Schulalltages ist.


Der Laptopdeckel

„Grundsätzlich sollte man zu Diskussionen anregen – ich denke, dass machen viele Sticker auf meinem Laptop auch“

Kai im Interview

Viele der Sticker hat Kai aus zwei linksorientierten Lokalen in St. Gallen. Es liegen immer mal wieder welche auf, die gratis oder gegen eine Spende mitgenommen werden können. Diese zwei Lokale, der Freundeskreis und auch teils das Umfeld im Studium kann als linke Bubble bezeichnet werden. Nichts desto trotz ist es Kai wichtig, Diskussionen und Gespräche anzuregen – auch innerhalb seiner Bubble. Insbesondere für das Studium eignet sich der Laptop dazu gut. In seiner studentischen Umgebung fungieren die Sticker als Möglichkeit für Gesprächsanfange über wichtige Themen wie Rassismus, Flüchtlingspolitik oder Sexismus. Die Sticker hätten für ihn aber auch schon ihren Zweck erwiesen, wenn sie jemanden zu vertieften Gedanken anregen. Gerade in einer sozialpädagogischen Ausbildung empfindet es Kai als wichtig, dass sich jede*r mit gesellschaftspolitischen Themen auseinandersetzt.

„Es wäre cool, wenn ich die restlichen Flächen auch noch befüllen könnte – aber dafür müssen die richtigen Sticker gefunden werden.
Denn die Aussagen dürfen ja auch nicht überklebt werden!“

Kai im interview

Unsere Sicht

Kais Laptop ist ein Bedeutungsträger, der den sozialen Kontext des Besitzers ziemlich deutlich abbildet. Eine objektive Betrachtung des Laptopdeckels lässt schon darauf schliessen, dass dem Besitzer linkspolitische Themen wichtig sind. Die Aussagen im Interview mit Kai bestätigen diesen Eindruck. Er spricht von Statements in Form von Mini-Plakaten und, beim Nachfragen über die Sticker, hauptsächlich von den Inhalten. Abgesehen vom Sticker des Genres Erinnerung mit den beiden Frauen äussert er sich nie zu der Ästhetik eines Stickers. Ob schön oder nicht, die Aussagen stehen bei Kai im Vordergrund. So ist auch die Anordnung der Sticker nicht geplant. Das einzige Kriterium beim Stickern: Die Aussagen müssen noch lesbar sein, nichts Wichtiges wird überklebt. Der „Kein Mensch ist illegal“ Sticker weist ebenfalls darauf hin, dass die Ästhetik kaum eine Rolle spielt. Der Sticker ist stark abgenutzt, jedoch noch lesbar, weshalb für Kai noch kein Grund besteht, ihn zu entfernen, zu überkleben oder zu ersetzen.
Trotzdem haben auch einige unpolitische Sticker es auf seinen Laptop geschafft: einige Erinnerungsstücke.
Interessant finde ich die Verbindung von Statement und Kindheitserinnerung auf dem „Freiräume verteidigen“ Sticker mit Calvin und Hobbes. Meines Erachtens ist Kais Laptopdeckel ein Abbild seiner Erinnerungen, wie auch seiner gesellschaftspolitischen Interessenverschiebung der letzten Jahre, die er besonders intensiv auf dem Laptop festhält.


Bezug zur Autorin

Ich kenne Kai aus dem Freundeskreis und man trifft sich des Öfteren an den gleichen Orten im Ausgang. Dies sind auch die Orte, wo Kai die meisten seiner Sticker her hat. So ist die Repräsentativität von Kais Laptop natürlich eingeschränkt. Trotzdem, oder auch gerade deswegen, erscheint dieser Laptop als ein schönes exemplarisches Beispiel, wie gesellschaftliche Debatten unter anderem über Sticker verhandelt werden können und wie eine kleine Fläche Privateigentum zu einem politischen Plakat werden kann.